Strasse der Sterne
Schweiß. Er konnte sich nicht jedes Mal zurückziehen, wenn sie sich reinigte. Sie war gänzlich auf ihn angewiesen, ohne den Schutz des Hauses in der Wahlenstraße. Erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst, was er sich zugemutet hatte. Seine niña war eine anziehende junge Frau und längst nicht mehr das Kind, das so gern auf seinem Schoß herumgealbert hatte.
»Lass uns nach drinnen gehen«, sagte er. »Für heute und morgen werden die Vorräte reichen. Danach kümmern wir uns um neue.«
»Gemeinsam schaffen wir es, Tariq«, sagte sie und griff nach seiner Hand. »Und jetzt bring mich bitte hinein. Ich bin schon sehr, sehr müde.«
*
Kloster Leyre, März 1246
Die Krypta des Klosters San Salvador de Leyre war sein Lieblingsort. Sobald er sie betreten hatte, befand er sich in einer anderen Welt. Dann vergaß er seine täglich wachsende Unzufriedenheit. Angesichts der drei mächtigen Apsiden senkte sich Gelassenheit über ihn und sein Mut kehrte zurück.
Lange schon hatte sich die Kunde verbreitet, dass in einem der zahlreichen Pyrenäenkloster ein Schatz von unermesslichem Wert verborgen werde. Allerdings konnte keiner mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um ein Gerücht handelte oder um eine Tatsache. Man munkelte, fromme und weniger fromme Männer hätten sich bereits auf die Suche begeben, bislang jedoch ohne Erfolg. Aber alle waren überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Schatz schließlich gefunden würde. Was jedoch, wenn das Kostbarste dann in falsche Hände geriet?
Die Templer wollten nicht länger untätig bleiben und hatten ihn für diese Aufgabe erwählt. So hatte Armando sich auf den Weg gemacht, um sich vor Ort darüber zu vergewissern.
Natürlich war er sich der Ehre bewusst, für diese Mission auserwählt worden zu sein. Und er brannte darauf, sie zu erfüllen. Mit gerade mal zwanzig war Armando de Almei- do der Jüngste in Tomar gewesen. Noch hatte er nicht alle Gelübde abgelegt. Erst nach erfolgreicher Mission würde er zur Burg zurückkehren, um bis zu seinem Tod dem Orden der Armen Ritter Christi und des Tempels Salomons anzugehören.
Eine äußerst heikle Mission, wie der Prokurator ihm eingeschärft hatte. Gerhard von Welsingen hatte in Deutschland gelebt, bevor er die Komturei in Portugal übernommen hatte; ihm zuliebe hatte Armando sogar diese schwierige Sprache erlernt. Er fürchtete und bewunderte ihn gleichzeitig. Und er vergaß niemals, was Gerhard ihm eingeschärft hatte: Ein falscher Satz am falschen Ort konnte alles verderben und jeder, den er um Auskunft bat, ihn ebenso gut in die Irre führen. Andererseits - wenn er keine Fragen stellte, wie sollte er dann jemals ans Ziel gelangen?
Manchmal überfiel ihn ohnehin die Furcht, Abt Miguel ahne mehr, als ihm lieb war. Das volle Gesicht schien stets unbewegt; die wachen Augen dagegen sprachen eine andere Sprache. Armando wurde schnell unbehaglich, wenn sie prüfend auf ihm ruhten, und dennoch gab es etwas, was ihn immer wieder in die Nähe des Abtes zog.
Der unterirdische Raum, in dem er sich befand, war streng und anmutig zugleich, beherrscht von den Kapitellen, die mit Vertiefungen, Rippen und Rollenfriesen geschmückt waren. Jedes von ihnen erzählte seine eigene Geschichte.
Manchmal ging er langsam umher und berührte den kühlen Sandstein; an anderen Tagen kniete er sogleich vor dem schlichten Steinalter nieder. Meistens dauerte es dann nicht lange, bis die Bilder kamen und ihn weit fort trugen. In seinen schönsten Visionen lebte er als frommer Eremit in einer Höhle, vertraut mit den Tieren des Waldes. Die Jahre vergingen ihm wie ein einziger Tag; er ertrug Regen, Tau und Schnee, dem Gesang eines Vogels lauschend ...
Irgendein Geräusch riss ihn immer wieder aus seiner Versenkung. Mal war es einer der Mönche, mal die eigene innere Unruhe, die sich nicht zum Schweigen bringen ließ, oder das dünne Glöckchen, das zu den Mahlzeiten rief. Dann fiel Armando umso unsanfter in die Gegenwart zurück. Er erhob sich, erleichtert, dass das strenge Gebot der Zisterzienser auch das Schweigen bei Tisch einschloss und nur das Vortragen der täglichen Lesung erlaubte, oftmals aus den Traktaten des heiligen Bernhard. Er trank den sauren Wein, aß hastig Getreidebrei und Bohnen und konnte kaum abwarten, bis er den Tisch wieder verlassen konnte.
Wenigstens musste er inzwischen nicht mehr mit den anderen im Dormitorium schlafen, wo die Mönche ihre Strohsäcke auf dem Boden ausgebreitet hatten. Die ersten Nächte,
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