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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Fackeln. Ich glaube, sie fangen gerade an.«
    Schwierige Zeiten lagen hinter ihnen. Der Winter hatte sich zurückgemeldet und Schneeregen, Sturm und Graupelschauer geschickt. Die Wege waren verschlammt, von tiefen Rädernarben durchfurcht, einige der Flüsse derart gestiegen, dass Fähren kaum oder gar nicht mehr verkehrten. Irgendwann hatte die Stute im Morast ein Hufeisen verloren, und bis sie einen Schmied fanden, der den Schaden reparieren konnte, begann sie bereits zu lahmen.
    Kurz darauf fing Pilar zu fiebern an und zu husten, und Tariq bestand darauf, dass sie statt auf einem Kirchenboden in einer Herberge in der Nähe von Ulm Quartier nahmen. Dort war das Essen miserabel, die Betten waren verwanzt. Glücklicherweise klang die Erkältung bald wieder ab, und sie konnten weiterziehen.
    Inzwischen war sie nicht mehr darauf versessen, zu Fuß zu gehen, sondern war froh, dass die Stute sie schnell und sicher vorantrug. Sie jammerte nicht, wenn feuchte Nebelstreifen den Mantel schwer machten, und beklagte sich ebenso wenig, wenn es dauerte, bis sie einen Platz zum Übernachten fanden, der einigermaßen trocken war.
    Doch seitdem sie den Bodensee erreicht hatten, schien das Glück wieder auf ihrer Seite zu sein. Es regnete nicht mehr und die Frühlingssonne wärmte sie; unter einem blanken Himmel konnten sie ein stattliches Tagespensum zurücklegen. Und selbst die eifernden Christen, vor denen Tariq insgeheim gebangt hatte, ließen sie unbehelligt. Er hatte nicht einmal darauf drängen müssen, dass sie sich in dieser Zeit von anderen fern hielten; Pilar war auf die gleiche Idee verfallen.
    Es war ihr Vorschlag gewesen, in der Osternacht nicht die Messe zu besuchen, sondern hinaus auf den dunklen See zu rudern. Der Fischer, bei dem sie untergekommen waren, hatte zwar einen Augenblick gezögert, ihnen dann aber doch sein kleines Boot überlassen.
    »Jetzt brennen sie!«, rief Tariq. »Ich sehe zwei, nein, drei ... vier, fünf ... viele! Das ganze Ufer leuchtet.«
    »Damit ist die Nacht zu Ende und der Tod überwunden. Hörst du es, Tariq? Die Glocken läuten wieder.« Vom Ufer her verschmolzen verschiedene Schläge zu einem jubelnden Lied. »Ist es noch sehr weit bis Einsiedeln?«
    »Kommt ganz auf das Wetter an«, sagte Tariq. »Wenn es weiterhin sonnig und trocken bleibt, können wir in ein paar Tagen dort sein.«
    »Weißt du, dass ich manchmal höre, wie mich jemand ruft? Die Stimme ist mir vertraut, aber ich erkenne sie nicht. Bisweilen denke ich, es könnte Mama sein, aber dann bin ich doch wieder unsicher.«
    Tariq hatte sie beobachtet, wie sie sich allabendlich den Brief der Mutter sorgfältig unter den Kopf legte, als könne sie nur so in den Schlaf finden, und ihn am Morgen nicht minder sorgfältig wieder verwahrte. Seitdem trug er noch schwerer an seinem Geheimnis.
    »Sie wird deutlicher, je länger wir unterwegs sind«, fuhr sie fort, als habe sie sein Schweigen nicht bemerkt. »Eines Tages werde ich sie erkennen. Kannst du sehen, wie sie die Osterkerzen am Feuer anzünden?«
    »Unmöglich! Dazu sind wir zu weit draußen.«
    »Das habe ich immer am meisten geliebt«, sagte Pilar. »In der Osternacht mit den brennenden Kerzen die dunkle Kirche wieder hell zu machen. Selbst als ich schon fast nichts mehr sehen konnte - an dieses Licht erinnere ich mich ganz genau.«
    »Es gibt ein Licht jenseits aller Dinge«, sagte Tariq vorsichtig, weil er den Schmerz in ihrer Stimme hörte. Er begann zügig zum Ufer zurückzurudern. Die Nacht war sternenklar, aber kalt; er spürte es an seinen Schultern, die ganz klamm geworden waren. »Ein Licht«, fuhr er fort, »das ...«
    »Aber das weiß ich doch«, unterbrach sie ihn lächelnd. »Meinst du, wir wären sonst hierher gekommen?«
    *
     
    Granada, April 1246
     
    Ihre Karten waren feucht vom Tau geworden, trotz des Tuches, in dem sie ihren wichtigsten Besitz verwahrte. Stirnrunzelnd zog Estrella eine nach der anderen hervor, bis schließlich alle zweiundzwanzig in der frühen Morgensonne vor ihr auf dem rötlichen Boden ausgebreitet lagen. Das Eiklar, das sie erst vor kurzem aufgetragen hatte, um die leuchtenden Farben zu schützen, bröckelte bereits an einigen Stellen, was sie störte, denn sie liebte schöne, heile Dinge. Andererseits ließen die unregelmäßigen Risse die bunten Blätter älter aussehen. Was sie in den Augen der Kundschaft wertvoller machte.
    Und wiederum mehr Münzen für sie bedeutete.
    Eigentlich hatte sich alles glücklich gefügt auf dem Basar

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