Strasse der Sterne
Schultern hoch.
»Du willst es mir nicht sagen?«, fragte sie nach einer Weile.
»Ich kann nicht.«
Pilar ließ es dabei bewenden, aber er spürte, dass es in ihr weiter arbeitete.
Sie schlief noch, als er nach dem Waschen im Dorfbrunnen ein Stück von der Kirche entfernt endlich sein Morgengebet verrichten konnte. Es war so früh, gerade erst hell geworden, dass er mit keiner Störung rechnen musste. Blasses Rosa im Osten kündigte einen leuchtenden Morgen an. Während die Vögel ihr Lied anstimmten, tat ihm das vertraute Stehen, Verneigen und Knien gut. Er fühlte, wie zwar noch nicht seine gewohnte Ruhe, aber zumindest eine gewisse Gelassenheit zurückkehrte.
Ramadan stand bevor, der Fastenmonat. Reisende waren nicht verpflichtet, ihn einzuhalten, vorausgesetzt, sie holten die vorgeschriebenen vierzig Tage binnen Jahresfrist nach.
Für die Herrin war es eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass er die Fastenregeln genau befolgte, auch der Señor hatte zu seinen Lebzeiten dafür gesorgt, dass Tariq nicht dabei gestört wurde, solange er seinen Arbeiten nachging. Sogar Magda hatte sich im Lauf der Jahre daran gewöhnt und nur ab und zu eine ihrer spitzen Bemerkungen fallen lassen.
Plötzlich verspürte Tariq beinahe so etwas wie Heimweh, das zu seiner Überraschung nicht den Granatbäumen seiner Heimat und dem weichen Lachen der Mutter galt. Eine schwarzweiße Katze rieb sich an einem Baumstamm und erinnerte ihn an Minka, über die Pilar seit ihrem Aufbruch kein Wort mehr verloren hatte.
Konnte es sein, dass er sich in die kalte Stadt mit den Türmen zurückwünschte, in der er sich oftmals so einsam gefühlt hatte?
Nachdenklich kehrte er zu der Kirche zurück.
»Werden wir Einsiedeln morgen erreichen?«, war das
Erste, was Pilar fragte, nachdem sie die Augen aufgeschlagen hatte.
»Der Küster hat gestern gesagt, dass nur noch der Etzelpass vor uns liegt. Wenn Walli so brav wie gestern trabt, können wir gegen Abend dort angelangt sein.«
»Ich habe wieder geträumt«, sagte sie, als sie hungrig in ein Stück altbackenes Brot biss. Wenigstens konnte er ihr noch eines von den Eiern anbieten, die sie gestern in der Asche gegart hatten, und sie verschlang es gierig.
»Was hast du geträumt?«, fragte er zerstreut.
»Du weißt schon - die Stimme. Aber ich konnte nicht sehen, zu wem sie gehörte, denn ich war blind. Sogar im Traum.«
Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht.
»Meinst du, Santiago wird mir helfen?«, sagte sie nach einer ganzen Weile. »So viele soll er von ihren Gebrechen erlöst haben. Und ich wünsche es mir so sehr. Mehr als alles andere auf der Welt!«
»Das fragst du ausgerechnet mich? Ich weiß doch nichts über eure Heiligen!«
»Verzeih!« Pilar bemühte sich zu lächeln. »Wie dumm von mir. Du hast natürlich Recht, Tariq! Aber du bist mir so nah, dass ich manchmal ganz vergesse, was uns trennt. Und du wünschst dir doch auch, dass ich wieder sehen kann?«
»Mehr als alles andere auf der Welt«, wiederholte er so ernsthaft, dass sie einen Augenblick verblüfft innehielt, bevor sie in ein Gelächter ausbrach, das von Herzen kam.
VERMÄCHTNIS 3
ENGELSSTURZ
León, Sommer 1227
Die Übelkeit überfiel mich ohne Vorwarnung. Ich begann zu frösteln, bekam pochende Kopfschmerzen und fühlte mich so matt, dass ich kaum aufstehen konnte. Mühsam rappelte ich mich auf. Ich durfte Consuelo nicht enttäuschen.
Und dann war da natürlich vor allem Oswald.
Er erschrak, als er mich sah, so bleich und kalt, und nahm mich in die Arme. Aber dieses Mal versagte seine Wärme.
»Du brauchst Medizin«, sagte er besorgt. »Und du gehörst ins Bett.«
»Aber ich will nicht Sanchas Gefangene sein«, protestierte ich schwach. »Wie soll ich gesund werden, wenn ich dich nicht sehen kann?«
»Ein bisschen Ruhe wird dir gut tun«, mischte sich nun auch Consuelo ein, die von Tag zu Tag runder und reizvoller wurde. Angesichts meines fahlen Gesichts erschien sie mir in ihrem blauen Kleid wie das Leben selbst. »Und wenn du erst wieder wohlauf bist, wird die Wiedersehensfreude umso größer sein.«
Dunkelheit senkte sich über die Stadt, als ich mich auf den Nachhauseweg machte. Der Weg durch Leons vertraute Gassen, eng und krumm wie ein maurischer Dolch, war nicht weit, und dennoch brauchte ich lange dafür.
Als Sancha die Tür öffnete, fiel ich ihr halb entgegen.
Mit der Hilfe der Magd Carmela gelang es ihr, mich nach oben zu zerren und ins Bett zu legen. Ich fiel in einen
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