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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sein Kopf noch heißer geworden war.
    »Wer bist du?«, fragte sie.
    »Heißt es nicht: Wer andere kennt, ist klug? Aber nur wer sich selbst kennt, ist weise. Und ich bin alles andere als weise, Alba! Diese Antwort muss ich dir also schuldig bleiben.«
    »Äußerlich wirkst du wie ein Mönch. Aber küssen tust du wie ein richtiger Mann.« Sie wollte ihn erneut reizen, er jedoch packte ihre Hand und zog sie an seine Brust.
    »Morgen gehe ich. Vielleicht nicht die beste Idee, denn mir tut jeder einzelne Knochen weh. Aber ich kann und will nicht länger warten. Meinst du, ich schaffe es bis zum Pass in zwei Tagesmärschen?«
    »Deine Stimme ist jetzt schon belegt«, sagte sie warnend. »Der Winter kann sich jederzeit anders besinnen. Dann wirst du unterwegs erfrieren. Wieso bleibst du nicht?«
    »Weil ich nicht kann.«
    »Ist es Gott, der dich ruft?«
    »Eine alte Geschichte. Ich dachte, ich könnte sie vergessen.« Er zog die Schultern hoch. »Aber ich kann es nicht.«
    »Sie war deine Frau?«
    »Vor Gott, ja. Sie trug meinen Ring. Ich allein bin schuld, dass sie ihn abgelegt hat.«
    »Verlass uns nicht!« Alba begann zu weinen. »Wir brauchen dich doch, das Kind und ich.«
    Er küsste ihre Tränen fort und hielt sie im Arm, bis sie eingeschlafen war. Sobald das erste Licht durch die Holzritzen drang, stand er leise auf und schlich zur Kammer. Lucia und der Alte atmeten in einem Rhythmus. Sein Kopf pochte und der Husten war hart geworden, aber er musste los. Er packte den Proviant ein, nahm seinen Beutel und verließ das Haus.
    Die Kälte draußen traf ihn wie ein Hieb.
    Die ersten Stunden war der Himmel noch klar, dann verkroch sich die Sonne. Ein starker Wind ließ graue Nebelfetzen tanzen. Was hätte er jetzt für fröhliches Glockengeläut gegeben, für einen Zug von Mauleseln, deren raue Eisen vor ihm den glatten Weg aufhauten! Aber außer einem Steinadler, der seine Kreise weit über seinem Kopf zog, entdeckte er nirgendwo ein Lebewesen.
    Er zwang sich, die Beine zu heben, aber sie wurden mit jedem Schritt schwerer. Irgendwann zog er sich den Schal vor den Mund, den Alba ihm gestrickt hatte. Seine überanstrengten Muskeln brannten. »Der höchste Berg der Welt«, hatte der Nonno gesagt. »Niemals kann man ihm trauen. Denn große Dinge geschehen, wenn Berge und Menschen aufeinander treffen.«
    Nun spürte er es am eigenen Leib. Weiter oben würde er klare Seen finden, leuchtende Firne und Gletscher, von denen der Alte ebenfalls berichtet hatte - aber ob er sie jemals erreichte?
    Die geschlossene Wolkendecke über ihm schien immer tiefer zu sinken. Seit mehr als zwei Wochen hatte es nicht mehr geschneit, heute jedoch schien der Winter entschlossen, erneut die Regentschaft zu übernehmen. Die Flocken wurden dichter; er musste mit gesenktem Kopf weitergehen, umschlossen von felsigem Grau, das allmählich weiß wurde.
    Unzählige Windungen machte der Pfad unter seinen Stiefeln. Eine Schwere kroch in ihm hoch, die ihn immer langsamer werden ließ. Es half wenig, stehen zu bleiben und ein paar Bissen Trockenfleisch zu essen. Schon beim nächsten Schritt konnte er vom Weg abkommen und in die Tiefe stürzen wie einst Michele. Nahezu blind tastete er sich weiter.
    Links von ihm ragte eine steile Felswand auf. Seinen steifen Fingern fiel der Halt immer schwerer. Airolo, der nächste Weiler, schien in immer unerreichbarere Ferne zu rücken.
    Plötzlich stutzte er - eine Öffnung!
    Vorsichtig trat er vom gleißend Hellen ins Dunkel. Die Höhle war hoch genug, dass er ohne Mühe stehen konnte, und zog sich offenbar ein ganzes Stück in den Felsen hinein. Der Eingang war sauber, als ob ihn jemand gekehrt hätte.
    Er ließ sich auf den Boden sinken und wickelte sich in seinen Mantel ein. Durch den Spalt konnte er zusehen, wie die Welt erneut in wirbelndem Weiß versank.
    Es war dämmrig, als er erwachte. Sein Körper war hart und steif. Mit zitternden Lippen trank er ein paar Tropfen. Hunger zog ihm die Magenwände zusammen, aber er war zu schwach, um zu kauen. Er schloss die Augen.
    Irgendwann riss er sie wieder auf. War da nicht ein Knurren gewesen? Lauerten Wölfe in den dunklen Nischen?
    Schweiß rann über seine Stirn und die Zähne schlugen aneinander. Er fieberte stark, das wusste ein Teil von ihm, der ihn zwingen wollte, dagegen anzukämpfen, während ein anderer, stärkerer, sich dieser Schwäche am liebsten ganz ausliefern wollte. Er verdrehte die Augen, bis nur das Weiße zu sehen war, dann schwanden ihm die

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