Strasse der Sterne
verlief quer über die linke Wange. Sie spürte die vertraute Erhebung durch die ungewohnte Gesichtsbehaarung. Schon als Kind hatte sie sie immer wieder bewundernd berührt. Denn sie wusste, was er dafür riskiert hatte. »Und was für einen stattlichen Bart du bekommen hast! Du willst doch nicht etwa deinem alten Freund Jona Konkurrenz machen?«
»Was nicht das Schlechteste wäre!« Heinrich stellte sie wieder auf die Füße. »Besonders, wenn ich an seine Silbervorräte denke. Manchmal scheint es mir, als führten die Stollen der reichsten Minen direkt in Jonas Truhen.«
Er beugte sich zu ihr herunter.
»Aber meine Hände sind auch nicht leer.« Wie ein Taschenspieler zog er einen dreireihigen Strang aus seinem Mantel und legte ihn ihr um. »Aquamarine! In Prag können die Damen gar nicht genug davon bekommen.«
»Wie gefrorenes Eis fühlen sie sich an.« Pilar berührte die Steine. »Und sie sind fast so groß wie Wachteleier! Danke, aber du sollst mich doch nicht immer so verwöhnen.«
»Ich konnte nicht anders. Sie passen einfach wunderbar zu deinen Augen!«
Heinrich hoffte, dass seine Stimme fest genug klang. Die fortschreitende Krankheit hatte über das einstige Himmelsblau nach und nach einen Schleier gelegt. Jedes Mal, wenn er länger fort gewesen war, erschienen sie ihm noch trüber. Kein Blinder, an dem er ohne Schmerz vorbeigehen konnte, kein leerer Blick, der ihm nicht wie ein vergifteter Pfeil ins Herz gedrungen wäre. Er hätte sich längst damit abfinden sollen, dass sein schönes Kind nun unwiderruflich zu jenen Bedauernswerten gehörte. Und dennoch wollte ihn noch immer die Hoffnung nicht verlassen, eines Tages auf ein Wundermittel zu stoßen, das sie heilen konnte.
»Und das böhmische Silber?« Pilar schien an seinen Geschäften interessierter als an seinen Geschenken. »Hast du den Regensburger Zendal, die einheimischen Sammete und italienischen Goldtücher gut verkauft? Und für die flämischen Brokate bekommen, was du wolltest?«
»Mach dir keine Sorgen, Prinzessin, dein Vater wird zwar langsam alt, aber sein Geschäft versteht er noch immer.« Seine Stimme wurde leiser. »Ist das Stampfwerk aus Italien wohlbehalten angekommen?«
»Vorige Woche«, erwiderte sie ebenso gedämpft und zeigte ihm dabei ihr Profil mit der geraden Nase und dem energischen Kinn, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. »In unzählige Einzelteile zerlegt. Tariq hat die ganze Ladung gleich auf den Wöhrd geschafft. Matteo müsste es inzwischen schon zum Laufen gebracht haben ...«
»Mehr dazu später, wenn wir unter uns sind«, unterbrach er sie. »Glücklicherweise war ich an der Wiener Schiffslände der Erste und bin den anderen vorausgeritten, weil mich die Sehnsucht nach meinem Kind vorwärtsgetrieben hat. Welch scheußliches Wetter wir hatten, Pilar, einfach widerwärtig! Die Schiffsreiter haben mir so Leid getan, dass ich ihnen einen ordentlichen Extrabatzen zugesteckt habe.«
»Dass du nur wohlbehalten wieder zurück bist, Heinrich!«, rief Magda von unten. Wenn sie über die Zurücksetzung verärgert war, so ließ sie es sich nicht anmerken. »Zufällig hat mir ein Vögelchen gezwitschert, dass wir mit dir rechnen können. Deshalb steht auch deine Lieblingsspeise bereit - frische Wallerpastete.« Sie legte den Kopf schelmisch zur Seite. »Und natürlich gibt es heißes Wasser für einen ordentlichen Badezuber.«
»Was wäre das Haus ohne dich?«, sagte Heinrich, während er hinunterstieg. Sie lächelte unbestimmt, als er etwas in ihre Hand gleiten ließ. »Das Kind und ich müssen dir dankbar sein.«
»Wie immer zu großzügig, Heinrich«, murmelte sie und hielt sie einen Augenblick lang fest. Sie spürte seinen Widerstand. War das alles, was er ihr zubilligte - ein bisschen Hoffnung, ein kleiner Trost? Sie wollte mehr vom Leben. Und jetzt, wo er endlich zurück war, wurde es höchste Zeit, dass er davon erfuhr.
Er machte sich frei, als sei ihm plötzlich zu heiß geworden. »Ich muss noch einmal weg. Wartet nicht auf mich.«
»Jetzt?«, entfuhr es Magda. Unwillkürlich drehte sie bei seinen Worten ihren Rücken der Hauswand zu, die ganz im Dunkeln lag. »Aber es ist doch bald Schlafenszeit!«
Ein ungeduldiges Achselzucken, das ihr ihre Stellung nur allzu deutlich bewusst machte. Sie hoff t e, ihr zorniges Erröten verbergen zu können. Magda hasste es, wenn Heinrich sich in der alten Mühle auf dem Wöhrd vergrub. Keine Brücke führte dorthin, nicht einmal ein hölzerner Steg. Egal, welche
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