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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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zusammen, aber wenn sie jetzt nicht wahrhaftig war, wann dann?
    »Um Martin ist mir nicht bang«, fuhr sie fort. »Der wird sich eine andere suchen. Nur - jetzt bin ich ganz allein. Und ich habe Angst. Große Angst, dass mein inneres Licht ganz schwach wird. Was soll ich tun, wenn irgendwann die Dunkelheit mich frisst?« Das Schluchzen wurde stärker. »Was habe ich nur verbrochen?«, brach es aus ihr heraus, »dass Gott mich so bestraft?«
    Erschrocken hielt Pilar inne.
    Ihr Fuß war an etwas Weiches gestoßen, eine große, liegende Gestalt, die sich soeben bewegt hatte.
    »Es ist nicht Gott, der uns straft«, drang es an ihr Ohr. »Das besorgen wir schon selber. Auch wenn es viel einfacher ist, ihm die Schuld zuzuschieben.«
    Die Stimme unterbrach ihren Kummer.
    »Wer bist du?«, fragte sie atemlos.
    »Ein Pilger.« Der Mann sprach ein flüssiges Deutsch, aber in einer weichen, ein wenig schleppenden Melodie, die verriet, dass es nicht seine Muttersprache war. »Peregrini - sind wir das nicht alle? Wir nehmen uns selber so wichtig. Aber das Land, das wir mit Füßen treten, erträgt uns nur. Kein Berg wird unseretwegen jemals versetzt.«
    »Wer bist du?«, wiederholte sie ungeduldig. »Wie heißt du?«
    Er war aufgestanden.
    »Dein Haar«, sagte er leise. »Was hast du mit deinem Haar angestellt?«
    »Ein Opfer«, erwiderte sie spontan und wusste im gleichen Augenblick, dass es die Wahrheit war. Pilar spürte, wie er kurz ihre Hand anhob, dann ließ er sie wieder los.
    »Woher hast du diesen Ring?« Seine Stimme klang heiser.
    »Er gehörte meinem Vater. Wieso fragst du?«
    »Dein Vater ... ein deutscher Kaufmann, richtig?«, stieß Camino hervor und schien plötzlich nach Worten zu ringen. »Irgendwo aus dem Südosten. Aber der Name ... wie hieß er noch? Ich habe es vergessen.«
    »Mein Vater ist tot.« Fast zuckte sie zusammen unter der Wucht dieses Satzes.
    »Muss an die zwanzig Jahre her sein. León. Dort sind wir uns begegnet.« Jetzt erst schien in sein Bewusstsein zu treten, was sie eben gesagt hatte. »Er ist tot?«
    »Ja! Mein Vater, Heinrich Weltenpurger, ist tot. Wir stammen aus Regensburg. Aber Papa war in ganz Europa zu Hause. Du hast ihn gekannt?«
    »Nur flüchtig.« Sie hörte, wie er die Lüge Gestalt annehmen ließ, und versteifte sich unwillkürlich. »An diesen Ring jedoch erinnere ich mich genau. Ein ungewöhnlicher Stein. Man vergisst ihn nicht, wenn man ihn einmal zu Gesicht bekommen hat.«
    »Es ist ein Labradorit, auch >Stein der Wahrheit< genannt. «
    Pilar wünschte sich inständig, ihre Hände könnten sein Gesicht lesen. War er schön? Hässlich? Lächelte er? Oder zeigte er eine ernste Miene? Wenn er Papa vor zwei Jahrzehnten begegnet war, war er kein junger Mann mehr. Doch seine Stimme hatte zu viel Kraft, um die eines Greises zu sein. Männlich war sie und gefühlvoll, vielleicht, weil eine verborgene Traurigkeit in ihr schwang. Plötzlich war sie sich sicher. Das musste sie sein, die Stimme aus ihren Träumen! Aber weshalb wich er ihr aus? Und wieso stellte er nur Fragen, ohne Anstalten zu machen, ihre zu beantworten?
    »Und warum >Stein der Wahrheit    »Es heißt, er spalte sich, sobald sein Träger lügt.«
    Sie hörte, wie er die Luft zwischen den Zähnen einsog.
    Würde sie jetzt mehr über das Geheimnis erfahren? Von einem Fremden, der ihr auf sonderbarste Weise vertraut erschien?
     
    *
     
    Vor Vezelay, April 1246
     
    Der Tag schien endlos, als sei die Sonne noch lange nicht bereit, dem Mond das Feld zu räumen, und Moira war weit gekommen, weiter, als sie gedacht hatte. Es war gutes Laufwetter gewesen, mit dünnen Wolken am Himmel, die dafür sorgten, dass es nicht zu heiß wurde, aber für heute war es genug. Ihre Sohlen brannten und die Waden waren hart von den vielen Hügeln und Senken, die sie durchwandert hatte. An der rechten Ferse begann sich wieder die Blutblase zu bilden, die ihr schon zu Anfang des Weges zu schaffen gemacht hatte. Dumpfer Schmerz rumorte in ihrem Unterleib. Ihr Mondfluss würde einsetzen, und kurz davor fühlte sie sich immer gereizt und müde.
    Vor drei Tagen hatte sie das Dorf verlassen, in dem sie seit Ostern gelebt hatte. Der Bauer und seine Frau, beide nicht mehr jung, hatten ihr zu verstehen gegeben, dass sie ihnen willkommen war. Mit Gesten hatten sie sich zunächst verständigt, aber Moira hatte schnell gelernt, was der einfache Alltag erforderte. Alles war anders als zu Hause, auch das Essen, aus dem sie

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