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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Januartag war sie Geros Frau geworden. Im Dom zu Trier war es so eisig gewesen, dass sie ein Kälteschauer nach dem anderen durchrieselt hatte. Moira hatte sich elend gefühlt. Noch war ihr von der Schwangerschaft nichts anzusehen gewesen, so mager war sie damals gewesen, der Priester aber hatte ihr so finstere Blicke zugeworfen, dass sie überzeugt gewesen war, er wisse über alles Bescheid.
    Keine Feier. Gero hatte ihr gesagt, wie wenig ihm daran lag. Seine Eltern hatten sie nach der Trauung verhalten empfangen. Sie war offenbar alles andere als die Braut, die sie sich für ihren Sohn gewünscht hatten, und selbst die Geburt Maries änderte nur wenig daran.
    Hier dagegen schienen die Schwiegereltern erfreut über den gleich doppelten Familienzuwachs. Der bärtige Vater herzte seine neue Tochter so ungestüm, dass ihre Wangen brannten, während die Mutter sie ständig zum Essen drängte.
    »Aus einem gebrauchten Topf kommt eben die beste Suppe!« Hans grinste viel sagend. Sein Mund war fettglänzend vom Entenklein, und es sah nicht so aus, als sei sein erstaunlicher Appetit so schnell gestillt. »Und dieser Most - ich könnte darin baden!«
    »Wenn du so viel säufst, kommen wir morgen nicht los.« Inzwischen fand Moira es mühsam, mit diesem Wegkumpan zu ziehen, der keine Gelegenheit ausließ, sich den Bauch voll zu schlagen. Aber es hatte auch Vorteile. Niemand wagte, sie zu belästigen. Anfangs hatte sie jedes Mal dagegen protestiert, wenn man sie für seine Frau hielt; inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt. Sie mussten schon ein merkwürdiges Paar abgeben, die kleine Frau mit dem ernsten Gesicht und der Kettenmann, den seine Fußfesseln zu einem schwerfälligen Watschelgang zwangen!
    Allein sein Anblick rührte die Leute zur Mildtätigkeit. Während andere Pilger, denen sie immer häufiger begegneten, draußen nächtigen mussten oder mit einem Teller dünner Suppe abgespeist wurden, wurden der Gefesselte und sie häufig nach drinnen gebeten und mit dem Besten verköstigt. Man lud sie zu Beerdigungen und Hochzeiten ein. Sie mussten nur irgendwo Rast machen, schon flogen die Silberstücke, die er nickend und summend mit grotesken Verneigungen einsteckte.
    »Für schlechte Zeiten und harte Herzen«, verteidigte er sich, als sie ihn deshalb schalt. »Natürlich bin ich ein Pilger und kein Bettler. Aber auch Pilger müssen essen und trinken.« Er zeigte sein Nagetiergrinsen, dem nicht einmal sie lange widerstehen konnte. »Wie sollen sie sonst zu Santiago kommen?«
    Manche fragten Hans sogar, ob sie ihn berühren dürften, und er gestattete es jedes Mal brummend. Kinder und Alte legten ihre Hand auf seine knochigen Schultern und murmelten ein Gebet, als könne sein Gelübde auch ihnen Heil bringen.
    Moira hielt sich lieber von ihm fern.
    Er hatte verschiedene Gesichter, das wusste sie inzwischen, und der drollige Spaßkopf war nur eines davon. Im Schlaf wälzte er sich herum und knirschte mit den Zähnen, als zerbeiße er einen riesigen Knochen. Weder war aus ihm herauszubekommen, welchem Handwerk oder Gewerbe er nachgegangen war, noch ob es eine Familie gab, die zu Hause auf ihn wartete. Sogar bei der Frage nach seinem Alter variierten seine Angaben, sodass sie irgendwann die Lust nach weiteren Fragen verließ.
    Dabei schien er auf seltsame Art an ihr zu hängen.
    »Gute Frau«, sagte er unvermittelt und ließ den Kalbskopf sinken, an dem er gerade genüsslich genagt hatte. »Dein Mann wartet daheim auf dich?«
    »Mein Mann schmort in der tiefsten Hölle«, entfuhr es ihr. »Und hoffentlich bis zum Jüngsten Gericht.«
    »Was hat er getan?«
    Ihren Mund umspielte ein Anflug von Trotz. »Das werde ich dir gerade auf die Nase binden!«
    »Willst du deshalb zum heiligen Jakobus?«
    »Du hast dein Gelübde, und ich meines.«
    Moira konnte die lärmende Hochzeitsgesellschaft nicht mehr ertragen. Als einer auch noch seine Sackpfeife hervorkramte und der Nächste mit der Schalmei einfiel, stand sie schnell auf. Es war nicht weit bis zur Kirche, einem gedrungenen Rundbau, dessen heller Stein in der späten Nachmittagssonne golden leuchtete.
    Sie trat ein und genoss die Stille, die sie umfing. Opake Steinfenster filterten das Licht und machten alle Konturen weicher. Vorn, am Altar, hing ein einfaches Kreuz. In der rechten Nische stand eine blumengeschmückte Marienstatue.
    Es gab nur eine Hand voll Bänke. Moira suchte sich eine davon aus. Hier fühlte sie sich wohler als in der überfüllten Basilika der heiligen

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