Strasse der Sterne
Roger eintrat, in einem schlichten schwarzen Gewand, röteten sich ihre Wangen.
»Wie ich dich beneide!«, murmelte sie. »Ich wünschte, mein Freudentag wäre auch endlich angebrochen.«
Diego, prächtig herausstaffiert in einem Überwurf aus schwerem braunem Tuch, war bleich vor Aufregung. Roger forderte uns auf, nebeneinander niederzuknien.
Wir taten, was er verlangt hatte.
Ich spürte, wie Diegos Hand meine kurz streif t e. Er schien innerlich zu vibrieren.
»Darauf habe ich so lange warten müssen! Nun kann uns niemand mehr trennen, kleine Blanca«, murmelte er. »Vor Gott sind wir in Liebe für immer vereint.«
Mein Hals wurde eng. In meinen Brüsten vollzog sich Erstaunliches, ein fremdes, heißes Prickeln, das mich zutiefst erschreckte.
Ich spürte, wie es feucht wurde.
Roger, die Hände bereits zum Segen erhoben, ließ sie mit einem Ausdruck des Erstaunens wieder sinken.
Carmela und Sancha starrten mich fassungslos an. Diego wagte ich nicht anzusehen, doch ich hörte den Laut, der wie das wütende Knurren eines Hundes klang.
Schützend hob ich die Hände und legte sie über die Nässe, die die gelbe Seide über meinen Brüsten dunkel gefärbt hatte.
Hilflos war ich dem Verrat meines Körpers ausgeliefert. Meine Milch floss.
In den Pyrenäen, Juni 1246
Wie ein gewaltiger Paukenschlag krachte der Donner in die Nachtstille. Dann setzte strömender Regen ein. Dauerte er an, würden sie den morgigen Tag in Saint-Palais verbringen. Ausnahmsweise betete Pilar, die Schleusen des Himmels mögen geöffnet bleiben, um den Aufstieg in die Berge weiter hinauszuschieben - und damit die Gewissheit, die sie ersehnte und vor der sie sich gleichzeitig fürchtete.
Ihre Gedanken überschlugen sich.
Vielleicht lebte Rena inzwischen anderswo. Vielleicht hatte sie mit einem anderen Mann weitere Kinder und ihre Tochter aus Regensburg längst vergessen. Vielleicht war alles nur ein Zufall, eine Laune des Schicksals, Illusionen, die sich schnell wie Rauch auflösen würden.
Vielleicht, vielleicht, vielleicht ...
Das Einschlafen fiel ihr schwer. Übermannte die Müdigkeit sie schließlich doch, schwarz und stark wie eine riesige Welle, hatte Pilar Angst, bis tief hinab auf einen Grund gezogen zu werden, von dem es kein Entrinnen mehr gab.
Es war, als würde ihre Anspannung in die Lüfte getragen, um sich weit über ihr in einem Blitz zu entladen. Selbst durch die Schweinshaut vor der Fensteröffnung spürte sie seine elektrisierende Wucht.
Jetzt war sie hellwach.
Neben sich hörte sie Tariqs gleichmäßige Atemzüge, dem das Spektakel draußen nichts auszumachen schien. Ihre andere Seite war wieder einmal leer. Camino zog es vor, im Stall bei Walli zu nächtigen. Sie wusste, warum, auch wenn er nicht darüber sprach.
Pilars Hände glitten über ihre Brüste, den Schoß. Die Schenkel. Sie lebte. Sie bestand aus Fleisch und Blut, auch wenn sie es nicht sehen, sondern nur fühlen konnte. Und doch war sie ein Nichts, angefüllt mit sinnlosen Hoffnungen. Seit sie ihm begegnet war, hatte sich die Sehnsucht nach seiner Liebe in ihre Träume gestohlen. Aber Camino hatte immer nur ihre Mutter geliebt.
Rena, die Fremde, die niemals über ihre Herkunft gesprochen hatte. Rena, die Unerreichbare, die Mann und Tochter stets freundlich auf Distanz gehalten hatte. Rena, Frau voller Geheimnisse, die eines Tages fortgegangen war, ohne sich um das weitere Schicksal ihrer Familie zu kümmern.
Und jetzt gab es keine Familie mehr. Nur noch eine blinde junge Frau, auf der Suche nach etwas, von dem sie nicht einmal wusste, was es war.
Pilar tastete nach dem Brief unter ihrem zusammengefalteten Umhang, der ihr in diesem armseligen Hospiz als Kopfkissen dienen musste. Plötzlich hatte sie das Verlangen, ihn in tausend Fetzen zu reißen, damit er ihr nicht länger wehtun konnte.
Er war verschwunden.
Sie richtete sich auf. Es kostete sie einige Mühe, sich auf der hölzernen Plattform, auf der das Stroh ausgebreitet lag, an Tariq vorbeizuschieben, ohne ihn aufzuwecken, aber schließlich gelang es ihr. Der Stock berührte nur ganz sanft den Boden, bis sie endlich die Tür erreicht hatte.
Draußen griff ein kühler Wind in ihre Kleider. Sie kam nicht weit auf ihrem Weg zum Stall, da Camino sie nach wenigen Schritten aufhielt.
»Du kannst nicht schlafen?«, sagte er.
»Nach all dem, was ich von dir gehört habe?« Sie sehnte sich nach seiner Berührung. Und bangte im gleichen Augenblick davor, weil noch zu viele Fragen
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