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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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gespült und trieben an die Oberfläche, während sie immer tiefer sank. Immer tiefer, immer tiefer, bis sie auf dem Kellerboden zu liegen kam und das dunkle Wasser sich kein bisschen mehr kräuselte.
    Kurz vor Sonnenaufgang hielten die anderen auf ihrem Marsch inne und begannen abseits der Straße eilig, die weiche Erde aufzuwühlen. Mit bloßen Händen hoben sie flache Gräber aus.
    Sie verkrochen sich in diesen Löchern, scharrten den Aushub und das Laub wieder über sich zusammen, auch über ihren Gesichtern, und zogen zuletzt ihre Hände zu sich ins Erdreich hinab.
    Nicht so der Spieler. Er ging, weit vor ihnen, bereits an einem Schild vorbei, auf dem stand:
    MUD CREEK.
    Zehn
    Unmittelbar vor Sonnenaufgang schwangen die Stalltüren der Pferdestation auf wie große, sich spreizende Feldermausflügel, und das Vorhängeschloss landete im Dreck.
    Ein kalter Windstoß fegte hinein, die Türen schwangen wieder zu, und das Schloss hing wieder an seinem Platz.

2. Teil: Die Zusammenkunft
    Heil’ge Furcht Dein Aug verschließe,
    denn er aß den Honigtau
    und trank die Milch vom Paradiese.
    – Coleridge

(4)
    Eins
    Der Reverend stand vor dem zerbrochenen Spiegel und tauchte gedankenverloren die Hände ins Waschbecken. Er schrubbte sie sauber, wusch sein Gesicht und trocknete sich ab.
    Dann ging er zum Fenster und schaute hinaus.
    Kurz vor Sonnenaufgang. Im Grau des Himmels zeigten sich schon rosafarbene und rote Risse.
    Ein Mann kam die Straße runter. Er ging schnell, aber seltsam ungelenk, als hätte er Rachitis. Am Saloon angekommen, zog er an der Tür vor den beiden Flügeltüren, aber sie war verschlossen.
    Die Sonne war aufgegangen, und ihr Licht ergoss sich allmählich über die Straße. Als der Mann an der Saloontür davon erfasst wurde, schrie er kurz auf. Rauchwölkchen kräuselten sich über seinem Kopf und seinen Händen.
    Er zog fester am Türgriff. Sein Arm löste sich vom Schultergelenk und fiel aus dem Ärmel. Immer noch hielt die Hand den Türgriff umklammert, und der Arm baumelte nun daran herab, blutlos und bleich.
    Der Mann stutzte, löste dann mit seiner verbliebenen Hand die andere vom Türgriff und steckte den losen Arm in seine tiefe Manteltasche. Der Oberarm ragte daraus hervor, vom Ellbogen bis zum Stumpf.
    Hastig lief der Mann die Straße entlang und rüttelte an jeder Tür.
    Schließlich brach er mitten auf der Straße zusammen und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen.
    Der Reverend rannte die Treppe hinunter.
    Zwei
    Der Reverend eilte zu dem Zusammengebrochenen und beugte sich zu ihm hinab. Rauch stieg von dem Körper auf. Der lose Arm hing aus der Manteltasche wie ein schlaffer Penis, bis er halb in der Tasche und halb auf dem Erdboden zerfloss.
    Widerwillig fühlte der Reverend am Hals des Glücksspielers nach dem Puls. Er fand keinen. Das Fleisch fühlte sich merkwürdig an. Verwundert zog der Reverend die Hand zurück und betrachtete die faulig riechenden Fleischreste, die wie Gelee an seinen Fingerspitzen klebten. Rasch rieb er sich im Straßenstaub die Finger ab.
    Plötzlich ergriff ihn von hinten eine Hand an der Schulter.
    Er fuhr herum und richtete sich auf, wobei seine Rechte nach seinem ständigen Begleiter langte: seinem Navy-Colt.
    Und schon war der Revolver gezogen und mit gespanntem Hahn auf die Nase des älteren Mannes gerichtet, den er im Café zusammen mit der Schönen gesehen hatte, die ihn an seine Schwester erinnerte. Die Frau stand daneben, mit großen Augen und offenem Mund.
    »Huch!«, sagte der ältere Mann. »Wir sind bloß gute Samariter, so wie Sie. Wir haben ihn stürzen sehn. Meine Güte, sind Sie schnell.«
    Der Reverend ließ die Waffe sinken und entspannte den Hahn. Während der Mann sich bückte, um die Leiche zu untersuchen, konnte der Reverend die Frau eingehender betrachten. Sie war sogar noch schöner, als er gedacht hatte. Der Herrgott hielt sie ihm anscheinend immer wieder unter die Nase.
    Er wandte sich dem alten Mann zu, der genau wie er selbst den Leichnam berührt hatte und nun seine Finger im Straßendreck abwischte.
    »Verflucht, so was hab ich ja noch nie gesehn«, sagte der Alte. »Riecht, als wär er schon eine Woche tot.«
    »Gerade ging er noch aufrecht«, sagte der Reverend.
    »Immer mit der Ruhe, mein Sohn. Das weiß ich. Ich hab doch gesagt, wir haben ihn stürzen sehn.« Die Leiche löste sich nun vollends auf. Sie rauchte, und unter der Kleidung war sie teilweise in sich zusammengefallen. Am Kopf hing zwar nicht mehr viel Fleisch,

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