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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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sogar dabei, wie er sich wünschte, sein Vater wäre noch hier bei ihm in der Schmiede, und das war nun doch höchst ungewöhnlich. Denn sonst fühlte er sich in der Gegenwart seines Vaters immer ziemlich unwohl, da er nie wusste, wann dieser sich wieder mal aufregen und die Beherrschung verlieren würde – und ob er dabei bloß ausfällig oder gar handgreiflich wurde.
    Mit seinem Vater hier in der Pferdestation, so gestand er sich ein, wäre ihm bei dem Gedanken, das Zaumzeug die Leiter hochzuschleppen, nicht so mulmig wie jetzt ganz allein, während es draußen dunkel wurde.
    Auch die Pferde verhielten sich sonderbar. Und das seit Tagen schon. Sie rollten mit den Augen und schnaubten und waren störrisch. Sein Papa meinte, sie wären bloß unruhig wegen dem Wetter.
    Vielleicht. Allerdings hatte David sie überhaupt noch nie so erlebt. Sie schienen nicht einfach nur unruhig, sondern hochgradig verängstigt zu sein.
    Als er zum Heuboden hochsah, hatte er den Eindruck, ihn würden Augen anstarren, und er spürte etwas – dieses Wort kam ihm in den Sinn – etwas BÖSES.
    Das war natürlich Blödsinn, aber genau das dachte er. Das Böse auf dem Heuboden.
    So ein Quatsch. Die bösesten Wesen da oben waren Ratten. Und sonst nichts.
    Damit sprach er sich zweimal Mut zu, holte tief Luft, nahm das Zaumzeug und stieg auf die Leitersprossen.
    Je höher er kam, desto mulmiger wurde ihm. Als wüsste er mit Sicherheit, dass da oben am Rand des Heubodens etwas auf ihn lauerte, um nach ihm zu greifen. Er sah sich schon am Kragen gepackt von einer großen Hand, die ihn am Kopfende der Leiter einfach hochhob wie einen wehrlosen Welpen und wieder runterschmiss. Als er den Fuß auf die nächste Sprosse setzte, glaubte er von oben ein Knirschen zu hören. Wie von einem rostigen Scharnier.
    Und es roch nach Verwesung.
    Vielleicht war da oben ein ganzes Nest Ratten krepiert.
    Wieder das Knirschen.
    Er hielt inne.
    Jetzt war nichts mehr zu hören. Dafür umso mehr zu riechen. Ein überwältigender Gestank.
    Noch eine Sprosse, und er lugte über den Rand des Heubodens.
    Da stand eine alte Kiste. Sie war dreckverschmiert, als wäre sie vergraben gewesen. Und einen Moment lang, einen kurzen Moment, glaubte er gesehen zu haben, wie der Deckel sich schloss, als wäre etwas in die Kiste gekrochen, um sich dort zu verstecken.
    Ihm blieb die Spucke weg. Diese Kiste sah er zum ersten Mal.
    Es waren nur noch zwei Sprossen, eine und noch eine, dann wäre er ganz oben. Dann konnte er über den Heuboden gehen, quer durch das ganze Heu, und das Zaumzeug an einen Pflock an der Wand hängen.
    Das war alles. Aber dazu war er nicht in der Lage.
    Papa würde ihn dafür mit dem Lederriemen versohlen, doch es ging einfach nicht. Seine Füße wollten sich keinen Schritt mehr bewegen. Ihm war kalt wie im tiefsten Winter. Obendrein hatte er Angst, gerade so, als wäre eine Schlange in seine Nähe gekrochen, bereit zuzubeißen, und als wüsste er nicht, wo sie war.
    David warf das Zaumzeug in hohem Bogen auf den Heuboden und kletterte die Leiter hinunter.
    Auf halbem Wege hörte er wieder das Knirschen und hielt inne.
    Er sah hoch, und durch eine Ritze zwischen den Dielen meinte er inmitten eines ungefähr gesichtsförmigen Umrisses ein Paar brennender Augen zu erkennen.
    Die restlichen Sprossen bis zum Fußboden übersprang er, rannte aus der Schmiede und schlug die Tür zu. Er hängte das Vorhängeschloss ein, stützte sich mit den Handflächen gegen die beiden Türflügel und atmete tief durch.
    Dann legte er ein Ohr an die Tür und lauschte. Außer dem unruhigen Scharren der Pferde war nichts zu hören.
    Bei dem Gedanken an das Augenpaar auf dem Heuboden kam er sich jetzt albern vor. Wahrscheinlich waren das Rattenaugen gewesen. Eigentlich sollte er das Schloss gleich wieder aufmachen, reingehn und das Zaumzeug richtig aufhängen. Ja, das sollte er. Würde ihm eine Tracht Prügel ersparen.
    Aber es wurde allmählich richtig dunkel, und in der Schmiede würde es noch dunkler sein. Er konnte sich nicht überwinden, da noch mal reinzugehen.
    Stattdessen machte er sich schnurstracks auf den Heimweg.
    Sechs
    Die Nacht brach herein. Noch herrschte nicht völlige Finsternis, doch sie breitete sich aus, griff mit ihren Schattenfingern nach der kleinen Stadt, umfasste sie allmählich mit ihrer schwarzen Faust.
    Und die Geschöpfe der Nacht kamen näher.
    In der Schmiede zitterten die Pferde in ihren Boxen, rollten mit den Augen, sahen zum Heuboden rauf und

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