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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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Sie, was in Ihnen steckt.«
    Der Pfad war ganz glitschig von Bills Blut. Sie folgten ihm mit gezogenen Waffen und gelangten schließlich auf eine Anhöhe, wo sie einen überwucherten Acker sahen und nicht weit davon entfernt eine verfallene Hütte mit eingestürztem Schornstein. Sie gingen darauf zu, bis zur Tür, die Jebidiah mit einer Stiefelspitze aufstieß. Im Inneren entzündete er ein Streichholz und leuchtete damit umher. Nichts als Spinnweben und Staub.
    »Hier muss Gimet gewohnt haben«, sagte Jebidiah. Als er eine mit Petroleum gefüllte Laterne fand, zündete er sie an und stellte sie auf den Tisch.
    »Halten Sie das für eine gute Idee?«, fragte der Deputy. »Licht machen? Damit er uns findet?«
    »Falls Sie’s vergessen haben: Genau das will ich ja.«
    Durch den leeren Fensterrahmen an der Rückseite der Hütte konnten sie in der Ferne Grabsteine und hölzerne Kreuze sehen. »Wieder der Friedhof«, bemerkte Jebidiah. »Dort muss sich die Mutter des Mädchens umgebracht haben.«
    Er hatte kaum den Satz zu Ende gesprochen, als er auf dem Hügel eine schemenhafte Gestalt schnell und ungelenk zwischen den Grabsteinen und Kreuzen umherhuschen sah.
    »Gehen Sie in die Mitte des Raums«, sagte Jebidiah.
    Der Deputy tat, wie ihm geheißen, und Jebidiah stellte die Laterne neben ihn. Dann zog er eine Bank dorthin, griff in die Manteltasche und nahm die Bibel heraus. Er ging in die Knie, hielt die Bibel nah ans Licht der Lampe und riss einige Seiten heraus. Er knüllte sie zusammen und verteilte sie im Abstand von sechs Fuß kreisförmig um die Bank, sodass jede zerknüllte Seite zwei Fuß von der nächsten entfernt lag.
    Der Deputy saß auf der Bank und sah schweigend zu, wie der Prediger sein seltsames Treiben beendete. Dann setzte sich Jebidiah neben ihn, ließ den Lauf seines Revolvers auf ein Knie sinken und sagte: »Sie haben ’nen 44er, richtig?«
    »Ja, ich hab einen zum Hinterlader umgebauten Revolver, genau wie Sie.«
    »Geben Sie ihn mir.«
    Der Deputy gehorchte. Jebidiah öffnete die Trommel und ließ die Kugeln auf den Boden fallen.
    »Was zur Hölle tun Sie da?«
    Jebidiah antwortete nicht. Stattdessen griff er in seinen Revolvergürtel, holte sechs Patronen mit Silberspitzen hervor, lud damit die Waffe und gab sie dem Deputy zurück.
    »Manchmal wehrt Silber das Böse ab«, sagte Jebidiah.
    »Manchmal?«
    »Seien Sie jetzt still, und warten Sie’s ab.«
    »Ich komme mir vor wie die festgebundene Ziege, die das Raubtier anlocken soll.«
    Nach einer Weile erhob sich Jebidiah und schaute aus dem Fenster. Dann setzte er sich schnell wieder hin und blies die Lampe aus.
    In der Ferne sang ein Nachtvogel. Grillen zirpten. Ein Frosch quakte. Die beiden Männer saßen nah beieinander auf der Bank und schauten in die entgegengesetzte Richtung. Ihre mit Silber geladenen Waffen ruhten auf ihren Knien. Keiner sprach ein Wort.
    Plötzlich hörte der Vogel auf zu singen, die Grillen verstummten, und auch der Frosch war nicht mehr zu hören. »Er kommt«, flüsterte Jebidiah.
    Der Deputy erschauderte leicht und atmete tief ein. Auch Jebidiahs Atem ging schneller. »Seien Sie still. Und wachsam.«
    »Ja, gut.« Der Deputy heftete seinen Blick auf das leere Fenster im hinteren Teil der Hütte. Jebidiah behielt die Tür im Auge, die halb offen in den verrosteten Angeln hing.
    Lange Zeit passierte gar nichts. Kein Laut war zu hören. Plötzlich rührte sich ein Schatten am Eingang, und die Tür bewegte sich mit einem leichten Knarren. Jebidiah sah, wie eine Hand am Ende eines unglaublich langen Armes den Rand der Tür umklammerte. Dort blieb sie eine Weile und war dann plötzlich wieder verschwunden, und mit ihr der Schatten.
    Die Zeit kroch voran.
    »Am Fenster«, flüsterte der Deputy so leise, dass Jebidiah einen Augenblick brauchte, um seine Worte zu enträtseln. Ganz vorsichtig drehte er sich um.
    Die Kreatur hockte, einem Raubvogel gleich, auf der Fensterbank. Ihren Kopf umschwirrten, einem grotesken Heiligenschein gleich, Bienen, und in ihrer Brust glühte und pulsierte der Bienenstaat wie summender Rauch. Auf Gimets Kopf sprossen einige Haarbüschel wie welkes Gras, das aus einem Steinhaufen herauswucherte. Der Kopf bewegte sich ein kleines Stück, und Mondlicht fiel durch den rissigen Schädel und trat durch die leeren Augenhöhlen wieder aus. Eine weitere leichte Bewegung, und das Gesicht lag wieder im Schatten. Außer dem Summen der Bienen war nichts zu hören.
    »Nur Mut«, flüsterte Jebidiah dem

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