Straße der Toten
Deputy ins Ohr. »Bleiben Sie, wo Sie sind.«
So flink, wie eine Spinne sich von einem Baum herablässt, kletterte Gimet in das Zimmer. Als er auf dem Boden auftraf, blieb er geduckt hocken, und die Dunkelheit legte sich wie ein Mantel über ihn.
Jebidiah, der sich mittlerweile vollständig auf der Bank umgedreht hatte und nun ebenfalls in Richtung des Fensters schaute, hörte ein Kratzen über den Fußboden auf sich zukommen. Er kniff die Augen zusammen und sah das Ding als Schatten unter dem Tisch hervorkriechen.
Der Deputy bewegte sich, als wolle er Reißaus nehmen. Jebidiah griff nach seinem Arm und hielt ihn fest. »Nur Mut.«
Die Kreatur kroch weiter vorwärts und war nur noch drei Fuß von dem Kreis entfernt, den Jebidiah mit den zerknüllten Bibelseiten gezogen hatte.
Durch das Fenster ergoss sich der Mondschein auf den Boden, und Jebidiah nahm jeden Aspekt von Gimets Erscheinung in sich auf. Im Mondlicht glühte er gespenstisch. Bienen umschwirrten seinen Kopf. Leere Augenhöhlen, spitze, feuchte Zähne. Lange, schartige, krallenartige Nägel, schwarz vor Schmutz, die nun über das Holz klapperten, als er versuchte, zwischen zwei zerknüllten Fetzen der Heiligen Schrift hindurchzukriechen. Doch die Seiten gingen prasselnd in blaue Flammen auf. Die kleinen Explosionen sprangen von Papier zu Papier über, bis der ganze Kreis vollständig aufleuchtete wie Gottes Thronwagen im Buch Ezechiel.
Gimet stieß einen heiseren Schrei aus, zuckte zurück und bewegte sich dabei so schnell, dass es aussah, als würden zwischen einem Augenblick und dem nächsten kurze Zeitsplitter fehlen. Die Bienen brummten wütend.
Jebidiah entzündete ein Streichholz und damit dann die Laterne. Er sah, wie Gimet über die Wand kroch wie eine Schabe und sich schnell in Richtung Fenster bewegte.
Jebidiah sprang vor, schleuderte die Laterne in Gimets Richtung und erwischte ihn, als er gerade durchs Fenster flüchten wollte, voll am Rücken. Die Lampe ging in Flammen auf, die sich in Gimets Rücken hineinfraßen, und eine Feuerwelle kletterte ihm von der Hüfte bis zum Kopf und versengte eine Schar Bienen, die wie Sternschnuppen zu Boden fielen.
Jebidiah zog seinen Revolver und schoss. Die Kreatur stieß einen gequälten Schrei aus, dann war sie verschwunden.
Jebidiah verließ den schützenden Kreis, und der Deputy folgte ihm zum offenen Fenster. Sie sahen, wie Gimet, von Flammen eingehüllt, in Richtung Friedhof durch die Nacht eilte.
»Ich hab ein wenig die Nerven verloren«, sagte Jebidiah. »Wenn ich entschlossener gehandelt hätte, wäre er nicht entkommen.«
»Ich hab nicht mal einen Schuss abgegeben«, sagte der Deputy. »Mein Gott, sind Sie schnell. Was für ein Schuss!«
»Ich verfolge Gimet. Wenn Sie wollen, können Sie hierbleiben, aber der Schutzkreis hat ausgedient.«
Der Deputy blickte zurück und sah dort, wo die Seiten der Bibel verbrannt waren, nur noch einen schwarzen Aschekreis auf dem Boden.
»Wieso ist er überhaupt in Flammen aufgegangen?«
»Das Böse. Als es uns zu nahe kam, fingen die Seiten Feuer, und damit gaben sie uns Gottes Schutz. Leider ist es damit wie mit den meisten Gottesgaben – sie währen nicht lange.«
»Wenn ich hierbleibe, brauch ich wieder neue Bibelseiten.«
»Die Bibel bleibt bei mir. Vielleicht brauche ich sie noch.«
»Dann komme ich mit.«
Die beiden Männer stiegen aus dem Fenster und erklommen den Hügel. In der Luft hing der Geruch von Feuer und verfaultem Fleisch. Die Nacht war so still und so kalt wie die Gräber auf dem Hügel.
Sie stapften zwischen den Grabsteinen und Holzkreuzen hindurch und kamen schließlich an ein großes, breites Loch. Jebidiah entdeckte, dass an einem Ende des Grabes ein Gang tief unter die Erde führte.
»Er hat dieses alte Grab zu seinem Unterschlupf gemacht und zu diesem Zweck noch weiter ausgehöhlt.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte der Deputy.
»Erfahrung. Außerdem rieche ich Rauch und verbrannte Haut. Er hat sich da unten verkrochen. Ich denke mal, wir haben ihn ziemlich überrascht.«
Jebidiah hob den Kopf und schaute zum Himmel hinauf. Ein zarter rosafarbener Streif erschien am Horizont. »Er versteckt sich vor dem Tageslicht. Der Mond wird bald nicht mehr zu sehen sein.«
»Mich hat er auf jeden Fall auch überrascht«, sagte der Deputy. »Soll er sich doch verstecken. Sie können ja zurückkommen, wenn kein Vollmond mehr ist, eher bei Neumond. Dann können Sie ihn sich bei Tageslicht schnappen.«
»Ich bin aber jetzt hier.
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