Straße der Toten
zu erzählen.
»Ich bin ein Freudenmädchen, wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist. Bis vor Kurzem hab ich in Austin, Texas, in Miss Mattie Janes Etablissement gearbeitet. Aber Mattie hat einen Mann kennengelernt, geheiratet und ihren Laden verkauft. Für mich und die anderen Mädels hat sie was mit der Puffmutter hier in Falling Rock ausgehandelt. Aber ich bin die Einzige, die sich darauf eingelassen hat. Die anderen sind über ganz Texas ausgeschwärmt wie die Präriehühner.
Von Falling Rock hab ich mir eigentlich mehr erhofft. Dachte, es wär vielleicht ein ansehnliches Städtchen. Vielleicht war’s das ja mal. Ich nehm an, was auch immer den Kutscher und den Kerl mit der Flinte erwischt hat – und auch den Whiskyhändler, der mit mir in der Kutsche saß –, hat wohl auch den Rest des Kaffs erledigt. Ohne meinen Schirm wär ich auch dran gewesen. Schon erstaunlich, wie gut ich mich damit verteidigen konnte.
Wir sind gestern mitten in der Nacht hier angekommen, und ich war bereit, meinen Job im Gentleman’s Hotel anzutreten und die Beine breit zu machen, als etwas Merkwürdiges passiert ist. Die Kutsche war gerade in die Stadt eingefahren, als sich ein Schatten so schwer wie ein Amboss über den Ort legte. Man konnte den Mond noch sehen und auch die Häuser, aber der Schatten floss da zwischendurch und in die Kutsche rein. Wir konnten kaum noch atmen. Das war so, als würde man versuchen, Stoff einzuatmen anstatt Luft. Dann schwebte der Schatten davon, und die Kutsche rollte weiter und hielt vor dem Hotel an. Die Kutsche schaukelte ganz furchtbar, und dann hab ich ein Geräusch gehört – ein Kreischen – so was hab ich noch nie erlebt. Da fiel mir ein, wie mir ein Freier mal von einem Kampf mit Indianern erzählt hatte, bei dem es ganz schön zur Sache gegangen war und die Pferde verletzt wurden. Die Indianer hatten in einer Scheune ein Feuer gelegt, und die Pferde, die drinnen standen, verbrannten bei lebendigem Leib. Er erzählte, wie die Pferde geschrien hatten. Irgendwie wusste ich, dass es das war, was ich hörte – schreiende Pferde. Nur gab es hier kein Feuer, das sie verbrannte. Aber irgendwas machte ihnen Angst und tat ihnen weh.
Die Kutsche stürzte um. Dann ging mehrere Male die Schrotflinte los, und als Nächstes hab ich den Kutscher und seinen Kumpel brüllen gehört. Der Whiskyhändler steckte seinen Kopf aus dem Fenster, das jetzt oben war, und zog ihn schnell wieder ein. Er drehte sich zu mir um und sah mich an. Sein Gesicht war, obwohl es ja finstere Nacht war, so weiß wie die Haare am Arsch eines Albinos. Er zog eine Derringer, und plötzlich erschien ein Gesicht am Fenster. So was hab ich noch nie gesehen. Keine Ahnung, was das war. Mein Verstand konnte es einfach nicht fassen.
Der Händler feuerte mit der Derringer, und das Gesicht zuckte zurück, erschien aber gleich wieder. Ein Arm, ein haariger Arm mit so was wie ’nem Haken dran, griff durch das Fenster nach dem Händler und erwischte ihn im Gesicht. Er hat ihm vom linken Ohr bis zum Mund die Haut abgezogen. Ich weiß noch, dass ich durch das Loch in seiner Wange seine Zähne sehen konnte. Dann packte diese haarige, hakenförmige Hand ihn an der Gurgel. Der Händler wehrte sich und stieß dem Ding die Derringer ins Gesicht und schlug mit dem Griff der Waffe auf die Hände ein, die ihn festhielten. Er wurde trotzdem durchs Fenster gerissen, und dabei hat sich ein feiner Blutregen in der ganzen Kutsche verteilt.
Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als nach meinem Schirm zu greifen. Was anderes hatte ich nicht. Dann erschien dieses Gesicht wieder in der Türöffnung und hat daran rumgezerrt. Die Bestie wollte sie aus der Angel brechen, also bin ich aufgesprungen und hab mit der Schirmspitze zugestochen, dem Vieh voll ins Auge. Es heulte ganz furchtbar auf und verschwand. Stattdessen tauchten da zwei andere behaarte Gesichter auf. Die hatten leuchtend gelbe Augen und furchtbar viele Zähne, von denen Geifer tropfte. Ich bin nicht gerade mutig, aber vor lauter Angst bin ich auch auf die beiden losgegangen und hab auf sie eingestochen. Eins hab ich getroffen, und es – er – was auch immer – wich zurück und verschwand.
Ich glaub nicht, dass ich sie erschreckt hab, vielleicht waren sie eher gelangweilt oder so. Oder einfach ... satt. Ich hörte sie nämlich in der Nähe der Kutsche rumstreifen, und ich hörte noch was anderes, ein Schnappen und Nagen, ein Geschmatze wie von Bergarbeitern bei einem kostenlosen
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