Straße der Toten
erscheinen.«
»Was Sie durchstehen müssen, schlägt jedem aufs Gemüt«, sagte Jebidiah. »Ich kann Ihnen aber helfen hinüberzugehen.«
»Das können Sie?«
»Ja.«
»Dann tun Sie es, um Himmels willen.«
»Das Böse muss vernichtet werden.«
»Tun Sie’s.«
»Zuerst möchte ich Sie um einen Gefallen bitten.«
»Mich?«
»Ja, erzählen Sie mir von diesem Ort. Was ist Ihnen zugestoßen? Wenn ich darüber Bescheid weiß, finde ich heraus, was hier umgeht, und dann kann ich Ihnen helfen. Das verspreche ich Ihnen.«
»Sie können es aber nicht besiegen. Schon bald werden Sie beide so sein wie ich.«
»Vielleicht«, sagte Jebidiah.
»Das hört sich aber nicht gut an«, sagte Mary.
»Eins nach dem anderen«, sagte Jebidiah. »Ich will hier mit meinem Pferd nicht so mit dem Rücken zur Tür stehen bleiben.«
»Das verstehe ich«, sagte der Geist.
Jebidiah fand einen Raum, der groß genug war, um sein Pferd hineinzuführen. Es war eine Art Wohnzimmer. Jebidiah fütterte das Pferd mit Getreide, das er einfach auf den Dielenboden kippte. Dann schob er unter den Augen des Geistes einen Schrank quer vor den Eingang und zog die Vorhänge am Fenster zu. Mary und er setzten sich auf ein Sofa, das vor dem Fenster stand. In dem Zimmer brannte kein Licht, und Jebidiah tat nichts, um das zu ändern, obwohl an den Wänden Messinghalter mit Öllampen befestigt waren. Dem Geist war es egal, dass sie im Dunkeln saßen, und Jebidiahs und Marys Augen gewöhnten sich mit der Zeit daran. Schon bald konnten sie Umrisse erkennen und natürlich den weißen Geist.
Der Reverend legte sich seine beiden Revolver auf die Oberschenkel. Mary saß ganz dicht neben ihm. Der Geist nahm sich einen Stuhl, wie er es wohl in seinem früheren Leben auch getan hätte, holte ein geisterhaftes Stück Kautabak aus der Tasche und steckte es sich in den Mund. In dem Zimmer wurde es immer dunkler und die Nacht immer stiller.
»Ich schmecke nichts«, sagte der Geist, nachdem er ein paarmal gekaut hatte. »Ich bilde mir das nur in. Der Kautabak ist da, ich kann ihn mir in den Mund stecken, aber es ist das Gleiche wie mit dem Alkohol, den der Barkeeper ausschenkt, den gibt es ebenso wenig. Mich tröstet nur, dass das Geld, das ich ihm dafür bezahle, auch nicht da ist. Nichts ist wirklich, außer meinem Verlangen danach.«
»Der Barkeeper kann Sie also sehen?«, fragte Jebidiah.
»Manchmal ja, manchmal nicht.«
»Das ist bestimmt ganz schön furchtbar«, sagte Jebidiah. »Aber wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie uns auch helfen. Wir haben nicht viel Zeit. Die Nacht ist schon über die Straßen hereingebrochen, und der große Schatten lastet schwer auf der Stadt. Ich spüre ihn bei jedem Atemzug.«
»Sie reden komisch.«
»Ich wurde komisch erzogen.«
Der Geist nickte. »Der Schatten legt sich jedes Mal über die Stadt, bevor sie kommen. Wenn er hier ist, sind sie auch nicht mehr weit. Punkt zwölf tauchen sie dann auf.« Der Geist wies mit einer Kopfbewegung auf eine große alte Standuhr, die in einer Ecke des Zimmers stand. »Dann wird es sozusagen haarig.«
Jebidiah zündete ein Streichholz an und hielt es vor die Uhr. Es war kurz vor sieben.
»Wir haben noch ein wenig Zeit«, sagte Jebidiah und löschte das Streichholz.
»Vielleicht könnten und sollten wir dann noch aus der Stadt verschwinden«, sagte Mary.
Der Geist schüttelte den Kopf. »Nein, da gehen Sie lieber nicht raus. So richtig schlimm wird’s erst um Mitternacht, aber jetzt auf der Straße, unter diesem großen bösen Schatten, das ist nicht gut. Das, was uns am meisten Sorgen machen wird, ist noch gar nicht hier, aber trotzdem sind da in und unter diesem Schatten Dinge, denen man besser nicht über den Weg läuft. Ich bin schon tot, und selbst ich will damit nichts zu tun haben. Außerdem vergeht die Zeit hier anders. Schauen Sie auf die Uhr.«
Jebidiah nahm ein weiteres Streichholz zur Hand. Die Uhr zeigte eine ganze Viertelstunde später an. Jebidiah ließ das Streichholz fallen.
»Die ist kaputt«, sagte Mary.
Der Geist schüttelte wieder den Kopf.
»Für den Teufel vergeht die Zeit anders als für mich und für Sie«, sagte Jebidiah und wandte sich zu dem Geist um. »Haben Sie irgendwelche nützlichen Ratschläge für uns? Wir können jede Hilfe gebrauchen, und in Ihrer gegenwärtigen Verfassung haben Sie bestimmt ein paar Erfahrungen gemacht, die für uns neu sind.«
»Und wenn Sie Glück haben«, sagte der Geist, »werden Sie diese Erfahrungen nie machen
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