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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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er und Mary die Geister. Es gab eine ganze Menge davon, doch sie schienen die beiden nicht wahrzunehmen. Sie waren weiß und dünn wie heller Rauch, doch an ihrer Gestalt konnte man Cowboys und Huren erkennen, die über den Fußboden glitten und in die Nischen hinein. Die Frauen zogen ihre Geisterkleider in die Höhe, und die geisterhaften Männer ließen ihre Hosen runter und drangen in sie ein. Der Barkeeper lief hinter dem Tresen auf und ab. Er griff zu Flaschen, die keine Flaschen waren, sondern Schemen von Flaschen, durch die man hindurchschauen konnte. Am Klavier saß ebenfalls eine geisterhafte Erscheinung, ohne Hut und mit einem gestreiften Hemd und Hosenträgern, allesamt durchsichtig. Der Geist bewegte seine Finger über die Tasten, die sich allerdings nicht bewegten, doch der Spieler bewegte sich, als würde er die Musik hören. Einige Cowboys tanzten mit Huren zu der beschwingten Melodie, die nur von ihnen, nicht aber von den Lebenden wahrgenommen wurde.
    »Großer Gott«, sagte Mary.
    »Komisch, dass immer wieder von ihm die Rede ist«, sagte Jebidiah.
    »Was?«
    »Ach nichts. Haben Sie keine Angst vor denen. Die können Ihnen nichts tun. Die meisten wissen nicht einmal, dass Sie hier sind.«
    »Die meisten?«
    »Das sind Gewohnheitsgeister. Sie tun das hier immer und immer wieder. Denn das taten sie oder wollten sie gerade tun, kurz bevor sie gestorben sind. Aber der dort drüben ...«
    Jebidiah zeigte auf eine geisterhafte, jedoch besser erkennbare Gestalt, die am anderen Ende des Raumes an der Wand auf einem Stuhl saß. Sie war untersetzt, trug einen großen geisterhaften Cowboyhut und schien beinahe greifbar zu sein, nur dass man die Wand und die Möbel durch sie hindurch sehen konnte. »Er weiß, dass wir hier sind. Er sieht uns so, wie wir ihn sehen. Er ist schon eine Weile hier und fängt langsam an, seinen Tod zu akzeptieren.«
    Bei diesen Worten setzte sich die gespenstische Gestalt, von der Jebidiah gerade sprach, in Bewegung und kam auf sie zu. Beim Gehen schwebte sie ganz leicht über dem Boden.
    Mary wollte zur Tür laufen, doch Jebidiah hielt sie am Arm fest. »Lieber nicht. Auf der Straße wird es gleich noch viel ungemütlicher, wenn es das nicht jetzt schon ist. Da draußen gibt es mehr als nur einen bedrückenden Schatten.«
    »Wird er uns etwas tun?«, fragte Mary.
    »Das glaube ich nicht.«
    Der Geist schlenderte auf sie zu, und als er näher kam, grinste er sie schief an und blieb direkt vor Jebidiah stehen. Mary zitterte wie Espenlaub. Jebidiahs Pferd zerrte an den Zügeln, und Jebidiah zog es zu sich her und sah es an. Vor Schreck verdrehte das Tier die Augen. »Ruhig, mein Junge.«
    Jebidiah wandte sich dem Geist zu und fragte: »Können Sie sprechen?«
    »Das kann ich«, sagte der Geist mit einer merkwürdigen Stimme, die klang, als würde sie aus einem tiefen, dunklen Brunnen emporsteigen.
    »Wie sind Sie gestorben?«
    »Muss ich das beantworten?«
    »Sie müssen gar nichts beantworten. Sie können aber, wenn Sie wollen. Ich habe keine Macht über Sie.«
    »Ich möchte gerne hinübergehen«, sagte der Geist. »Aber aus irgendeinem Grund kann ich das nicht. Ich bin hier ganz allein. Die anderen wissen nicht, dass sie tot sind. Dieser Ort hält uns hier fest. Aber ich bin anscheinend der Einzige, der weiß, was passiert ist.«
    »Das Böse ist über die Stadt gekommen«, sagte Jebidiah. »Wenn das geschieht, kann alles Mögliche passieren. Nicht immer das Gleiche, aber immer nur etwas Böses. Sie haben sich entschieden, die Wahrheit anzunehmen, die anderen nicht. Aber früher oder später müssen sie es ebenfalls einsehen.«
    »Ich bin nicht böse, ich bin nur ein toter Cowboy.«
    »Das Böse hält Sie aber hier fest.«
    Der Cowboy nickte. »Die Bösen.«
    »Die Behaarten«, sagte Mary.
    »Genau, die Behaarten«, sagte der Geist. »Wegen denen bin ich hier. Dabei würde ich lieber woanders hingehen, aber ich schaff’s nicht, wegen denen. Wegen dem, was die sind.«
    »Das liegt daran, wie Sie gestorben sind«, sagte Jebidiah. »Sie sind in einem von Gottes kleinen Späßen hängen geblieben.«
    Der Geist neigte seinen Kopf wie ein neugieriger Hund. »Was ist das für ein Scherz? Ich kann Ihnen versichern, dass ich den ganz und gar nicht lustig finde.«
    »Und mit der Zeit werden Sie ihn immer weniger amüsant finden, und dann werden Sie wütend, und dann werden Sie etwas tun, und das wird nicht eben zum Besten sein.«
    »Ich habe nicht vor, irgendjemandem als böser Spuk zu

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