Straße der Toten
flüchtigen Blick darauf erhascht, aber was er gesehen hatte, war groß und behaart gewesen und hinter dem Hotel verschwunden. Jebidiahs Pferd rieb in der Ecke des Zimmers unruhig sein Hinterteil an der Wand.
Jebidiah atmete noch einmal tief durch und trat vom Fenster zurück. Er strich dem Pferd über die Nüstern, öffnete dann die Tür und schritt auf den breiten Treppenabsatz hinaus.
Unten war es dunkel, er konnte rein gar nichts erkennen, nicht einmal Dol, der hinter der Bar lag. Vielleicht war er auch dorthin verschwunden, wo alle anderen waren – in irgendeinen anderen Teil der Stadt, eng aneinander gedrängt zu einer einzigen weißen Dunstwolke in irgendeinem Wandschrank. Jebidiah konnte sehen, dass die Tür zum Hotel ein wenig offen stand. Als sie ins Hotel zurückgekommen waren, hatte er die Tür zugemacht.
Jebidiah stand, die eine Hand am Geländer, lange Zeit so da und starrte nach unten. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er glaubte, in der Nähe der Bar etwas gesehen zu haben.
Da war eine Gestalt.
Regungslos.
Vielleicht irrte er sich.
Sei’s drum, dachte Jebidiah, ist ja nicht so, als wüssten sie nicht, dass wir hier sind. Er zog eine kleine Bibel aus der Manteltasche, riss die erste Seite heraus, nahm ein Streichholz, zündete damit die Seite an und ließ sie fallen.
Im Lichtschein des fallenden Papiers, das nur kurz aufloderte, sah Jebidiah, dass die Gestalt nicht nur ein Schatten war, sondern eine der Bestien. Er sah dunkles Fell, gelbe Augen und Zähne. Und dann bewegte sich die Bestie blitzschnell um die Bar herum, auf die Treppe zu und nahm zwei oder drei Stufen auf einmal. In diesen wenigen Sekunden sah Jebidiah in einer anderen Ecke des Saloons noch eine weitere Kreatur. Ein riesiges Scheusal mit noch größeren gelben Augen. Das ist dann wohl der Anführer der Wölfe, dachte er. Der die Macht über die anderen hat – der sie losschickt, wenn er auf die Jagd geht.
Jebidiah trat an die oberste Treppenstufe, zog seinen Revolver, zielte völlig gelassen auf die Gestalt, die gerade die Stufen heraufsprang und deren Brustkorb mit einem spanischen Brustharnisch geschützt war. Im Dunkeln konnte er sie nicht genau erkennen, sondern erhaschte im Mondlicht, das durch das Fenster hereinfiel, nur einen flüchtigen Blick auf den Harnisch. Er hatte nach unten auf die Leistengegend gezielt, und als er abdrückte, bockte seine 45er und zog nach oben, sodass die Kugel die Bestie an der Brust traf. Die Rüstung klirrte, konnte die Kugel jedoch nicht aufhalten. Das Vieh grunzte und geriet kurz ins Wanken, kam dann aber weiter auf ihn zugestürzt. Wo die Kugel eingetreten war, und auch auf der Rückseite, wo sie rausgekommen war, stieg weißer Rauch von der Rüstung auf.
Jebidiah spannte erneut den Abzug und dachte, mein Gott, ich hab die Bestie voll erwischt. Eine Kugel aus einer 45er hätte sie die Stufen runterbefördern müssen, und zwar direkt auf den Arsch, Brustharnisch hin oder her.
Er schoss erneut, und eine rote Flamme zuckte fauchend aus dem Lauf. Die Kugel traf das Untier, als es gerade die letzte Stufe erreicht hatte und nur noch zwei Handbreit von Jebidiahs Lauf entfernt war, mitten im Gesicht. Es stieß ein lautes Bellen aus, wurde gegen die Wand geschleudert, rollte dann die Stufen hinab, krachte durchs Geländer, landete auf der Bar und blieb dort reglos und schwarz im Halbdunkel liegen.
Nummer eins, dachte Jebidiah.
Er spähte in die Finsternis hinunter, konnte aber nicht viel erkennen. Er glaubte, die Gestalt noch immer dort liegen zu sehen, war sich aber nicht sicher. Er warf einen Blick in die andere Ecke des Raumes. Der König der Wölfe bewegte sich. Es war, wie Dol gesagt hatte – es sah aus, als würde er einige Bewegungen auslassen, denn in einem Augenblick war er in der Ecke und im nächsten in den Schatten verschwunden.
Okay, einer weniger. Vielleicht.
Er blinzelte und schaute noch einmal nach unten. Jebidiah konnte sich nicht sicher sein, was sich dort befand. Er hatte das Biest genau getroffen, und mit dem Eichenholz in der Kugel hatte er es vielleicht zur Strecke gebracht.
Die Eingangstür des Hotels krachte weit auf, und vier weitere behaarte Schatten stürzten herein. Sie bewegten sich so schnell, dass es kaum möglich war zu erkennen, was sie waren. Sie sprangen herum, und zwei von ihnen kamen schnell die Treppe herauf, ein anderer lief zur Wand und krabbelte mit seinen Klauen wie eine riesige behaarte Kakerlake an ihr entlang. Und
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