Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
einem Blechdach zutreiben, das im Schatten immergrüner Eichen lag, die über hundert Jahre alt sein mussten.
»Ich würde die Braut abblitzen lassen. Die will dir doch bloß einen Tort antun, Streak«, sagte er.
»Was hat sie denn davon?«
»Sie war früher beim NOPD. Sie gluckt mit diesem Drecksack von Ritter zusammen. Man lässt den Feind nicht in den eigenen Drahtverhau.«
»Was soll ich denn machen? Mich weigern, das Band anzuhören?«
»Vielleicht sollte ich diesmal das Maul halten«, erwiderte er, stach das Paddel durch die Wasserhyazinthen und stieß uns inmitten einer Schlammwolke auf die Uferbank.
Ich ging unter dem von den immergrünen Eichen herabhängenden Moos hindurch, stieg die Dammböschung und die Treppe hinauf, die zu der auf Pfählen ruhenden Galerie führte. Sie kam mir unter der Tür entgegen, trug ein Paar Plattform-Sandalen, Designer-Jeans und einen gelben Pullover, der locker über ihre Brüste fiel. Sie hatte einen Löffel und einen runden, offenen Behälter mit gelbem Speiseeis in den Händen.
Sie schaute an mir vorbei, blickte die Böschung hinab zum Wasser.
»Wo ist Bootsie?«, sagte sie.
»Ich dachte, es ginge um was Dienstliches, Miss Deshotel.«
»Würden Sie mich bitte ›Connie‹ nennen? … Ist das da unten Clete Purcel?«
»Jawoll.«
»Ist er stubenrein?«, sagte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn besser sehen zu können.
»Wie bitte?«, sagte ich.
»Er pinkelt gerade in meinen Philodendron.«
Ich folgte ihr ins Haus. Der Innenraum wirkte freundlich – überall Zimmerpflanzen und helle Flächen, in denen sich das wenige Licht fing, das durch die Bäume fiel. In der Küche schaufelte sie etliche Löffel voll Eis in den Mixer, gab entsteinte Kirschen, Orangenscheiben, Angostura und eine Tasse Brandy hinzu. Sie legte den Schalter um und lächelte mich an.
»Ich kann nicht lange bleiben, Connie«, sagte ich.
»Das müssen Sie probieren.«
»Ich trinke keinen Alkohol.«
»Es ist ein Dessert.«
»Ich würde mir gern das Band anhören.«
»Junge, Sie sind ja eine harte Nuss«, erwiderte sie. Dann setzte sie eine besorgte Miene auf, die so wirkte, als wäre sie eigens für diesen Moment geschaffen. »Was Sie auf diesem Band hören werden, ist vermutlich nicht sehr angenehm für Sie. Ich dachte, ich mache es Ihnen irgendwie ein bisschen leichter.«
Sie holte einen batteriebetriebenen Kassettenrecorder aus einer Schublade, stellte ihn auf den Küchentisch, drückte mit dem Daumen auf die Abspieltaste und musterte mein Gesicht, als die Stimmen von Don Ritter und dem toten Schmieresteher, diesem Andropolis, aus dem Lautsprecher drangen.
Ich stand am Fliegendrahtfenster und blickte hinaus auf den See, während Andropolis die letzten Stunden im Leben meiner Mutter schilderte und den Nuttentrick beschrieb, der zu ihrem Tod führte.
Ich wollte die Worte nicht hören müssen, wollte lieber draußen im Wind sein, der zwischen den Bäumen hindurchstrich und das Wasser auf dem See kräuselte, dem hohlen Pochen einer Piroge lauschen, die schaukelnd an einen Holzpfahl stieß, oder einfach Cletes breiten Rücken, die dicken Arme und seinen jungenhaften Gesichtsausdruck betrachten, als er in der Dämmerung seine Angelrute auswarf und den Schwimmer wieder zum Ufer zurückzog.
Aber selbst wenn er ein Schmarotzer gewesen war, ein Mitläufer nur, niemals die Hauptperson, erwies sich Andropolis über den Tod hinaus als derart niederträchtig, dass er einem selbst aus dem Grab noch Wunden schlagen konnte.
»Die Jungs, die sie kalt gemacht haben, waren keine Cops. Das waren Wachmänner außer Dienst oder so was Ähnliches. Sie hat diesen Typ, diesen Mack, bei sich gehabt. Er hat allen Leuten erzählt, er wäre Bouree-Croupier, aber er war ihr Louis. Er und Robicheaux’ Mutter, wenn sie’s denn war, haben einfach die zwei Falschen ausgenommen«, ertönte Andropolis’ Stimme vom Band.
Wie durch eine sepiabraun getönte Linse sah ich den Wind über eine unbefestigte Straße fegen, die sich wie ein Graben durch ein Meer aus Zuckerrohr zog. Schwarze Wolken wälzten sich über den Himmel; ein Jax-Schild mit rot-weißen Neonbuchstaben schaukelte an einer Eisenstange vor einem Tanzlokal. Hinter dem Tanzlokal befand sich eine Reihe von Hütten, die alten Sklavenunterkünften ähnelten, und auf jeder kleinen Galerie brannte eine blaue Glühbirne. Wie in Zeitlupe sah ich, wie meine Mutter, fettleibig und vom Bier aufgeschwemmt, einen betrunkenen Mann von der Hintertür des
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