Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
sich in unserem Kielwasser ans Ufer, und da und dort schwangen sich graue, schneeweiße und große blaue Reiher zum Himmel auf und schwebten auf weiten Flügeln über die Buchten dahin.
Wir fuhren an breiten Seerosenteppichen vorbei, an schwimmenden Feldern aus Lotusblumen, die gerade am Aufblühen waren, durchquerten dann eine weitere Bucht, die in ein sumpfiges Weidengehölz überging, warfen vor ein paar überfluteten Zypressen und Tupelobäumen den Anker aus und sahen zu, wie unser Kielwasser zwischen den Stämmen verschwappte, die so grau wie Elefantenhaut waren.
Clete saß auf einem Drehstuhl am Bug, hatte den Porkpie-Hut tief in die Augen gezogen, und sein blaues Jeanshemd war zwischen den Schulterblättern schweißnass. Mit einem Schlenker aus dem Handgelenk warf er die Angel aus und ließ den mit Drillingshaken bestückten Balsaholzschwimmer in hohem Bogen durch die Luft fliegen.
»Wie läuft’s mit dir und Passion?«, fragte ich.
»Sehr ordentlich, Großer«, erwiderte er, drehte am Griff seiner Rolle und zog den Schwimmer im Zickzack durch das Wasser aufs Boot zu.
Ich holte eine kalte Dose Bier aus der Eiskiste und drückte sie ihm hinten an den Arm. Er nahm sie, ohne sich umzudrehen. Ich öffnete ein Dr. Pepper, trank es und sah zu, wie der Wind durch die Zypressen strich und das Laub kräuselte wie grünes Spitzengespinst.
»Warum sagst du nicht, was du auf dem Herzen hast?«, sagte Clete.
»Ich habe mir das Protokoll von Letty Labiches Prozess vorgenommen. Sowohl Letty als auch Passion haben ausgesagt, dass Passion an dem Abend, an dem es Vachel Carmouche erwischt hat, in einem Nachtclub in Lake Charles war und dem Talentscout einer Plattenfirma etwas vorgespielt hat.«
»Weil es genau so war«, sagte Clete.
»Sie sind immer gemeinsam aufgetreten. Warum sollte sie allein vorspielen?«
Clete holte den Schwimmer ein, schüttelte lässig das Wasser ab und rollte die Schnur auf, bis die beiden Drillingshaken klappernd an den Spitzenring seiner Rute stießen.
»Was hast du denn vor, Streak? Willst du Passion mit reinziehen? Was erreichst du denn damit?«
»Ich glaube, dass beide Schwestern lügen, was diesen Abend angeht. Was schließt du daraus? Letty ist bereits in der Todeszelle. Sie hat nichts mehr zu verlieren.«
»Der staatliche Henker wurde zu Hackfleisch zerstückelt, und jemand muss dafür büßen. Erinnerst du dich noch an den Fall Ricky Ray Rector droben in Arkansas? Der Typ hatte eine Leukotomie hinter sich. Er sah aus wie schwarzer Brei, den man in einen Häftlingsoverall gegossen hat. Aber er hatte einen Cop umgebracht. Clinton weigerte sich, das Urteil in eine lebenslängliche Haftstrafe umzuwandeln. Rector hat dem Gefängnisdirektor erklärt, er wollte sich den Pekankuchen von seiner Henkersmahlzeit aufheben, damit er ihn nach der Hinrichtung essen kann. Clinton wurde Präsident, Rector düngt den Boden. Und ich geh jede Wette ein, dass sich in der Nacht, in der er fällig war, kein Mensch in Little Rock hat vom Bumsen abhalten lassen.«
Clete zündete sich eine Lucky Strike an, legte sein Zippo auf seine Angelgerätekiste und blies den Rauch über die hohle Hand hinweg.
»Ich dachte, du hättest damit aufgehört«, sagte ich.
»Hab ich auch. Aus irgendeinem Grund hab ich grade wieder angefangen. Dave, das ist ein elender Mist. Passion sagt, ihre Schwester fürchtet sich vor der Dunkelheit, fürchtet sich davor, allein zu sein, fürchtet sich vor ihren eigenen Träumen. Ich bin hierher gekommen, weil ich mir das nicht mehr anhören wollte. Wie wär’s also mit was Lustigerem?«
Er legte die Rute quer über die Schenkel, streckte die Hand nach hinten aus und tastete im zerstoßenen Eis nach einem weiteren Bier, wich aber meinem Blick aus, während die untergehende Sonne sein Gesicht in rotes Licht tauchte.
Laut Überlieferung wurde Robert Mitchum bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis, wo er eine Haftstrafe wegen Marihuanabesitzes verbüßt hatte, gefragt, wie es hinter Gittern sei.
»Nicht schlecht«, antwortete er. »So ähnlich wie in Palm Springs, aber ohne das Gesindel.«
Seither ist es bergab gegangen.
Aber wenn man kein schwarzer Teenager ist, der mit Crack dealt und zudem das Pech hat, sich zum vierten Mal erwischen zu lassen, ist die Gefahr, dass man eine schwere Freiheitsstrafe verbüßen muss, eher gering.
Wer sind diese Menschen, die in den Gefängnissen sitzen?
Abgehalfterte jeder Couleur, Kokser und Junkies, die öffentliche Einrichtungen benutzen, um
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