Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
vorgesetzt? Zum Beispiel Superman, ein Kerl, der sich in aller Öffentlichkeit umzieht. Oder Davy Crockett, ein Mann, der mutig in der Schlacht von Alamo kämpfte, aber sich nie daran störte, dass er mit einem toten Eichhörnchen auf dem Kopf herumlief. Es ist kein Wunder, dass Leute meines Alters in einem Zustand der Verwirrung aufwuchsen und später eine ausgeprägte Vorliebe für Drogen entwickelten. Mein Lieblingsheld war Zorro, der, sobald ihm jemand auf die Nerven ging, sein Schwert zog und dem Bösewicht mit drei flinken Streichen ein Z ins Hemd schlitzte. Wer würde ihn nicht um diese Fertigkeit beneiden?
»Kellner, ich habe ausdrücklich ein rohes Steak bestellt.« SchlitZ, schlitZ, schlitZ!
»Tut mir Leid, aber ich glaube, ich bin vor Ihnen dran.« SchlitZ, schlitZ, schlitZ!
»Was soll das heißen, Sie haben das nicht in meiner Größe?«
SchlitZ, schlitZ, schlitZ!
Wochenlang haben mein Freund Robert Swanson und ich dieses nützliche kleine Kunststück mit den Küchenmessern seiner Mutter geübt, aber alles, was wir am Ende vorzuweisen hatten, waren ein paar zerfetzte Hemden und klaffende Wunden auf der Brust. Also gaben wir es nach einer Weile auf – eine Entscheidung, die ich auch heute noch so dann und wann bereue.
Kurz vor Los Angeles spielte ich mit dem Gedanken, in die
Stadt hineinzufahren. Doch nicht nur Smog und der dichte Verkehr hielten mich zurück. Vor allem schreckte mich die Vorstellung ab, dass in Los Angeles jemand auf mich zukommen und mir ein Z in die Brust schlitzen könnte. Ich finde überhaupt nichts dabei, dass verrückte Leute ihre eigene Stadt haben, aber ich wüsste beim besten Willen nicht, was ein normaler Mensch darin verloren hat. Außerdem ist Los Angeles längst out. Die Stadt hält keine Überraschungen mehr bereit. Stattdessen wollte ich durch das fruchtbare San Joaquin Valley im Herzen Kaliforniens fahren, denn dort trifft man keine Touristen. Das hat einen einfachen Grund, wie ich bald feststellen sollte: Es ist stinklangweilig.
25
Ich erwachte in freudiger Erwartung. Es war ein strahlender Morgen, und in ein oder zwei Stunden würde ich mich auf den Weg zum Sequoia National Park machen und durch einen Baum fahren. Diese Aussicht versetzte mich in eine Art verhaltene Aufregung. Als ich fünf Jahre alt war, haben mein Onkel Frank und Tante Fern aus Winfield einmal ihre Ferien in Kalifornien verbracht – das war natürlich, bevor sich herausstellte, dass Frank schwul war, der Satansbraten, und bevor er mit seinem Friseur nach Key West durchgebrannt ist, was viele Leute in Winfield furchtbar geärgert hat, besonders als ihnen klar wurde, dass sie von nun an bis nach Mount Pleasant fahren mussten, um sich die Haare schneiden zu lassen. – Jedenfalls haben uns Onkel Frank und Tante Fern damals aus Kalifornien eine Postkarte geschickt, auf der ein Redwood-Baum von so gewaltigem Umfang abgebildet war, dass man mitten durch den Stamm eine Straße gebaut hatte. Durch den Baum fuhr ein schönes, junges Paar in einem grünen Studebaker-Cabriolet, und beide sahen sie aus, als erlebten sie gerade etwas, das einem heftigen Orgasmus sehr nahe kam. Diese Postkarte hat mich ungeheuer beeindruckt. Ich ging zu meinem Dad und fragte ihn, ob wir unsere nächsten Ferien in Kalifornien verbringen und durch den Baum fahren könnten, und er sah auf die Karte und sagte »Mal sehn ... vielleicht irgendwann einmal«, und ich wusste, dass meine Chancen, die Straße durch den Baum zu sehen, gleich null waren.
Jahr für Jahr berief mein Vater eine Familienversammlung ein
(stellen Sie sich das vor!), um zu beraten, wo wir unsere diesjährigen Ferien verbringen sollten. Und Jahr für Jahr plädierte ich dafür, nach Kalifornien zu fahren und uns den Baum mit der Straße durch den Stamm anzusehen, woraufhin mein Bruder und meine Schwester in höhnisches Gelächter ausbrachen und ausriefen, dass das ja wohl eine megadoofe Idee sei. Mein Bruder wollte immer in die Rocky Mountains, meine Schwester nach Florida, und meine Mutter sagte, dass es ihr egal sei, wohin wir führen, Hauptsache wir wären alle zusammen. Und dann holte mein Dad einen Haufen Prospekte mit Titeln wie »Arkansas – Das Land der vielen Seen« und »Wichtige Hinweise für einen Urlaub in Arkansas« (mit einem Vorwort von Gouverneur Luther T. Smiley) hervor, und plötzlich schien es denkbar, dass wir in diesem Jahr nach Arkansas fahren würden – was immer wir auch davon halten mochten.
Als ich elf war, fuhren wir nach
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