Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
erstreckt sich über 850 Meilen von Nord nach Süd, was in etwa der Entfernung zwischen London und Mailand entspricht. Die Fahrt zum Redwood National Park würde mich anderthalb Tage kosten, plus anderthalb Tage, um wieder hierher zurückzukommen. So viel Zeit hatte ich nicht. Niedergeschlagen startete
ich den Wagen und fuhr zum siebzig Meilen weiter nördlich gelegenen Yosemite National Park.
Welch eine Enttäuschung! Ich nörgle, ich weiß, und es tut mir Leid, aber Yosemite entpuppte sich als monumentaler Reinfall. Die Landschaft ist unglaublich, überwältigend schön. Beim ersten Blick auf das Tal zu Füßen des El Capitán, in dem die Felswände steil aufragen und weiße Wasserfälle sich über die Wiesen in der Tiefe ergießen, fragt man sich unwillkürlich, ob man wohl das Zeitliche gesegnet hat und nun im Himmel sei. Fährt man dann jedoch weiter ins Yosemite Village, begreift man, dass man sich bis in alle Ewigkeit in der Gesellschaft fetter Leute in Bermudashorts befinden wird, wenn dies der Himmel sein sollte.
Yosemite ist ein ziemlich verkorkster Nationalpark. Die Arbeit des amerikanischen National Parks Service – das möchte ich an dieser Stelle offen sagen – lässt in vielen Nationalparks vieles zu wünschen übrig. Das ist eigentlich erstaunlich, denn im Allgemeinen ist das Freizeitangebot in Amerika tausendmal besser als sonst irgendwo. Das gilt nicht für Nationalparks. Die Visitors’ Centres sind überwiegend langweilig, die Restaurants sind grundsätzlich mies und teuer, und meistens fährt man wieder ab und hat so gut wie nichts über die Tierwelt, die Geologie und die Geschichte des Ortes gelernt, den zu sehen man Hunderte von Meilen zurückgelegt hat. Sinn und Zweck der Nationalparks ist es, einen Teil der amerikanischen Wildnis zu bewahren; in vielen Parks hat sich jedoch die Zahl der wild lebenden Tiere verringert. Im Yellowstone gibt es keine Wölfe und keine Pumas mehr, und der Bestand an Bibern und Dickhornschafen ist dramatisch zurückgegangen. Außerhalb von Yellowstone ist ihr Bestand gesichert, aber im Verantwortungsbereich der Parkverwaltung sind diese Tiere ausgestorben.
Die Inkompetenz hat innerhalb des National Parks Service eine lange Tradition. In den sechziger Jahren bot der Parks Service der Walt Disney Corporation an, den Sequoia National Park
zu erschließen. Stellen Sie sich das vor! Der Plan wurde glücklicherweise aufgegeben. Dafür realisierte man andere. So ließ man 1923, nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen Umweltschützern und Geschäftsleuten, das Hetch Hetchy Valley im nördlichen Teil von Yosemite – von dem es hieß, es sei noch spektakulärer als das Yosemite Valley selbst – überfluten, um ein Trinkwasserreservoir für San Francisco, 150 Meilen westlich von Yosemite, zu schaffen. Damit steht seit mehr als sechzig Jahren eine von vielleicht einem halben Dutzend der atemberaubendsten Landschaften dieses Planeten aus kommerziellen Gründen unter Wasser. Nicht auszudenken, was passiert, wenn man dort auf Öl stößt.
Das große Problem in Yosemite ist heute, sich dort zurechtzufinden. Ich habe noch nie einen Ort gesehen, der so schlecht beschildert war. Man könnte meinen, der Park sollte vor den Besuchern versteckt werden. In den meisten Parks steuert man als Erstes das Visitors’ Centre an, um sich anhand der großen Übersichtskarte zu orientieren und zu entscheiden, was man sich ansehen möchte. Doch in Yosemite ist das Visitors’ Centre fast unauffindbar. Fünfundzwanzig Minuten lang irrte ich durch Yosemite Village, bevor ich einen Parkplatz entdeckte, und dann kostete es mich noch einmal zwanzig Minuten und einen langen Fußmarsch in die falsche Richtung, bis ich endlich vor dem Visitors’ Centre stand. Bis dahin kannte ich mich allerdings im Dorf schon so gut aus, dass ich keine Übersichtskarte mehr brauchte.
Überall war es hoffnungslos überfüllt – in den Cafeterias, im Postamt, in den Geschäften. Welch ein Gedränge mag dort erst im August herrschen, wenn das Dorf schon jetzt, im April, aus allen Nähten platzte! Noch nie war ich an einem Ort gewesen, der zugleich so schön und so schrecklich war. Ich machte einen langen Spaziergang, sah mir die Wasserfälle an, genoss die Landschaft und verbrachte letztendlich einen herrlichen Nachmittag. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass man dort einiges besser machen kann.
Während die Sonne friedlich unterging, folgte ich den gewundenen Gebirgsstraßen nach Sonora. Ich erreichte
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