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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Neunzig Sekunden lang sprudelten die Münzen aus der Maschine wie ein silberner Wasserfall. Als der Strom abbrach, betrachtete die Frau den Geldsegen ohne eine Miene zu verziehen und begann, die Münzen wieder in den Automaten zu stecken. Sie tat mir Leid. Sie würde die ganze Nacht brauchen, um das Geld wieder loszuwerden.
    Ich durchquerte einen Saal nach dem anderen, ohne den Weg nach draußen zu finden. Das Gebäude war offensichtlich so angelegt, dass man hier die Orientierung verlieren sollte. Es gab weder Fenster noch Schilder, die den Weg zum Ausgang wiesen, nur endlose Hallen mit gedämpftem Licht und einem Teppichboden,
der aussah, als hätte der Innenarchitekt ins Telefon gebrüllt: »Schick mir 20 000 Quadratmeter von dem hässlichsten Teppichboden, den du auf Lager hast.« Er hatte die Farbe von Erbrochenem. Eine Ewigkeit irrte ich umher, ohne zu wissen, ob ich dem Ausgang nun näher kam oder mich weiter von ihm entfernte. Ich kam an einem kleinen Einkaufszentrum vorbei, an Restaurants, an einem Büfett, an schummrigen Bars, in denen die Leute vor sich hin brüteten, an Bars mit Live-Musik und auffallend untalentierten Entertainern und an einem riesigen Raum, dessen Wände mit Fernsehbildschirmen bedeckt waren. Dort konnte man live die Sportereignisse des Tages verfolgen – ein Baseballspiel der Oberliga, NBA-Basketball, Boxkämpfe, ein Pferderennen. Auf der ganzen Wand rackerten sich Dutzende von Athleten ab, und all das für einen einzigen Zuschauer, und der schlief.
    Wie viele Räume dieses Kasino hatte, weiß ich nicht, aber es waren viele. Oft konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich einen Raum betrat, den ich noch nicht gesehen hatte, oder ob ich einen bekannten Raum aus unbekannter Perspektive vor mir hatte. Es sah überall gleich aus – lange Reihen von Menschen, die lustlos und mechanisch ihr Geld verspielten, als hätte man sie hypnotisiert. Keiner von ihnen schien sich darüber im Klaren zu sein, dass seine Chancen minimal waren. Das Ganze ist ein unglaublicher Schwindel. Einige der Kasinos erzielen einen Gewinn von 100 Millionen Dollar im Jahr, also etwa so viel wie einige der großen Konzerne, nur dass die Kasinos nichts weiter zu tun brauchen, als ihre Türen zu öffnen. Um ein Kasino zu leiten, bedarf es weder besonderer Fähigkeiten noch Intelligenz oder Format. In der Newsweek las ich, dass der Besitzer des Horseshoe-Kasinos in Downtown weder lesen noch schreiben gelernt hat. Können Sie sich das vorstellen? Es veranschaulicht eindrucksvoll das intellektuelle Niveau, mit dem man in Las Vegas Karriere machen kann. Auf einmal hasste ich diesen Ort. Ich ärgerte mich, selbst auf all den Glamour hereingefallen zu sein
und so schnell und gedankenlos 30 Dollar verspielt zu haben. Für das Geld hätte ich mir eine Baseballmütze mit Plastikkacke auf dem Schirm plus einen toilettenförmigen Aschenbecher mit der Aufschrift »Place Your Butt Here. Souvenir of Las Vegas, Nevada« kaufen können. Ich wurde immer missgelaunter.
    Ich reihte mich ein in die Warteschlangen vorm Büfett von Caesar’s Palace und hoffte, dass ich die Welt mit vollem Magen wieder in rosigerem Licht sehen würde. Das Büfett kostete 8 Dollar pro Person, aber man konnte essen, so viel man wollte. Also langte ich nach Kräften zu, fest entschlossen, meinen Verlust auf diese Weise wenigstens teilweise auszugleichen. Dementsprechend häuften sich auf meinem Teller die verschiedensten Gerichte, Soßen und Salate, und alles vermischte sich zu einem Brei ohne bestimmten Geschmack. Aber ich schaufelte ihn in mich hinein und verdrückte anschließend eine riesige Portion Schokoladenpampe. Und dann ging es mir sehr schlecht. Ich fühlte mich, als hätte ich eine Rolle Isoliermaterial in mich hineingestopft. Ich hielt mir den aufgeblähten Bauch und schleppte mich zum Ausgang. Kein Rollsteg brachte mich zurück zur Straße – für Verlierer und Verzagte hat man in Las Vegas nichts übrig, also musste ich den Weg über die lange Zufahrtsstraße zum Strip zu Fuß zurücklegen. Die frische Luft half ein wenig, aber eben nur ein wenig. Auf dem Strip humpelte ich durch die Menschenmassen, als wollte ich Quasimodo imitieren. Mit der Absicht, meine Geldgier wieder anzustacheln, um mich von meinem geschundenen Magen abzulenken, begab ich mich in einige andere Kasinos. Aber überall war es wie in Caesar’s Palace – dieselbe Geräuschkulisse, die gleichen abgestumpften Leute, die ihr Geld verloren, die gleichen scheußlichen

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