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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Teppiche. Ich bekam Kopfschmerzen davon. Es dauerte nicht lange, und ich gab auf. Ich kämpfte mich zum Motel durch, schaltete den Fernseher ein, ließ mich aufs Bett fallen und rührte mich nicht mehr von der Stelle – soweit das möglich ist, wenn man keine Fernbedienung zur Hand hat und mit seinem großen
Zeh nicht ganz an die Programmknöpfe des Fernsehers herankommt.
    Ich sah mir die regionalen Nachrichten an. Sie bestanden hauptsächlich aus einer Zusammenfassung der an diesem Tag in Las Vegas verübten Morde. In den begleitenden Filmreportagen von den verschiedenen Tatorten war jedes Mal ein Haus zu sehen, durch dessen geöffnete Eingangstür Kriminalbeamte ein- und ausgingen, während etwas abseits eine Gruppe von Nachbarskindern stand, die in die Kamera lachten und ihren Muttis zuwinkten. Zwischen den einzelnen Berichten witzelten die Nachrichtensprecher und -sprecherinnen geistlos herum, um dann forsch-fröhlich fortzufahren: »Eine Mutter und ihre drei kleinen Kinder wurden heute in Boulder City von einem Geistesgestörten in Stücke gehackt. Nach einer kurzen Pause sehen Sie unseren Filmbericht.« Dann wurde minutenlang Werbung gesendet, gefolgt von filmischen Reportagen über Mord und Totschlag in Las Vegas und Umgebung, über Feuersbrünste, Flugzeugabstürze, Massenkarambolagen auf dem Boulder Highway und andere blutige Schreckensmeldungen aus der Region, immer anschaulich illustriert mit Bildern von übel zugerichteten Autos, verkohlten Häusern, zugedeckten Leichen, und am Rand der Schauplätze stand immer eine Gruppe von Kindern, die in die Kamera lachten und ihren Muttis zuwinkten. Möglich, dass ich es mir eingebildet habe, aber ich könnte schwören, es waren in jedem Film dieselben Kinder. Vielleicht hat die Gewalt in Amerika einen neuen Menschenschlag hervorgebracht – den Serienaugenzeugen.
    Zum Schluss kam ein Sonderbericht über einen Mann, der aus dem Gefängnis entlassen werden sollte. Er hatte zehn Jahre zuvor eine Frau vergewaltigt und ihr aus unerfindlichen Gründen beide Arme an den Ellenbogen abgesägt. Das ist kein makabrer Witz. Selbst die abgehärteten Bürger von Nevada seien darüber so erzürnt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach ein aufgebrachter Mob den Mann erwarten würde, wenn er das Gefängnis
um sechs Uhr am nächsten Morgen verlassen sollte, sagte die Fernsehreporterin und fügte ihrem Bericht alle Informationen hinzu, die es ihren Zuschauern ermöglichten, sich der wütenden Menge anzuschließen. Ihre Stimme verriet eine Spur von Vorfreude, als sie anmerkte, die Polizei lehne es ab, die Sicherheit des Mannes zu gewährleisten. Die letzte Kameraeinstellung zeigte die Reporterin vor dem Gefängnistor. Hinter ihr hüpften Kinder herum und winkten ihren Muttis zu. Mir war das alles nicht geheuer. Schwerfällig stand ich auf und schaltete um. Auf einem anderen Programm lief Mr. Ed. Da weiß man wenigstens, was einen erwartet.

    Am nächsten Morgen verließ ich Las Vegas über die Interstate 15 und trat die lange Geradeausfahrt durch die Wüste in Richtung Süden an. Die Interstate 15 ist die Hauptverkehrsader zwischen Las Vegas und dem 272 Meilen entfernten Los Angeles. Es war, als führe ich über die Kochplatten eines riesigen Elektroherdes. Nach etwa einer Stunde erreichte ich die kalifornische Grenze und Devils Playground, eine Landschaft aus ausgeblichener Erde, durchsetzt von Kreosotbüschen. Die Sonne brannte. Die Soda Mountains in der Ferne flimmerten in der Hitze, und die Autos auf der Gegenfahrbahn kamen wie Feuerbälle auf mich zu, so stark reflektierten sie das gleißende Sonnenlicht. Vor mir auf der Straße bildeten Luftspiegelungen ölige Flecken, die verschwanden, sobald ich näher kam, um ein paar Meter weiter wieder aufzutauchen. Auf dem Seitenstreifen, manchmal auch im Wüstensand, standen Autos, die ihr Ziel nie mehr erreichen würden. Einige sahen aus, als lägen sie seit Jahren dort. Welch ein ungeeigneter Ort für eine Panne. Im Sommer zählt diese Gegend zu den heißesten Regionen der Erde. Zu meiner Rechten, hinter den kargen Avawatz Mountains, lag Death Valley, wo man 1913 die höchste jemals in Amerika festgehaltene Temperatur gemessen hat – 56 Grad Celsius (der 1922 in Libyen gemessene Weltrekord liegt nur unwesentlich
darüber). Das war allerdings die Temperatur im Schatten. Ein Thermometer, das man in der Sonne auf den Boden gelegt hatte, ist einmal auf über 93 Grad geklettert. Selbst jetzt, im April, zeigte das Thermometer über 30 Grad,

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