Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
und die Fahrt war ausgesprochen unangenehm. Ich konnte es mir nicht einmal anderthalbmal so heiß vorstellen. Und dennoch leben in dieser Gegend Menschen, in so schrecklichen Kleinstädten wie Baker und Barstow, in denen häufig 100 Tage hintereinander eine Hitze von weit über 30 Grad herrscht und wo manchmal zehn Jahre lang kein Tropfen Regen fällt. Ich sehnte mich nach klarem Wasser und grünen Hügeln und trat aufs Gaspedal.
Kalifornien hat den Vorteil, dass dort die Kontraste dicht beieinander liegen. Der Staat ist durch eine Geographie der Gegensätze gekennzeichnet. Während sich im Death Valley der niedrigste Punkt der Vereinigten Staaten befindet – sechsundachtzig Meter unter dem Meeresspiegel –, erhebt sich praktisch in der Nachbarschaft der höchste Punkt des Landes (Alaska nicht mitgerechnet) – der 4418 Meter hohe Mount Whitney. Wer will, kann sich im Death Valley auf dem Dach seines Wagens ein Ei braten, dann dreißig Meilen in die Berge fahren und es dort im Schnee einfrieren. Ursprünglich hatte ich vor, die Sierra Nevada zu durchqueren und unterwegs im Death Valley einige Experimente mit Eiern vorzunehmen. Eine Dame vom Wetteramt informierte mich jedoch über das Radio, dass die Gebirgspässe nach den letzten Schneefällen noch immer geschlossen waren. Also blieb mir nichts anderes übrig, als über den alten Highway 58 einen langen, unerquicklichen Umweg durch die Mojave-Wüste zu fahren. Auf diese Weise kam ich an der Edwards Air Force Base vorbei. Über knapp vierzig Meilen führte die Straße an einem scheinbar endlosen Stacheldrahtzaun entlang, hinter dem sich der Luftwaffenstützpunkt verbarg. Hier waren die Space Shuttles auf die Erde zurückgekehrt, und hier hatte Chuck Yeager die Schallmauer durchbrochen. Edwards war also eine Attraktion ersten Ranges, aber vom
Highway aus konnte ich rein gar nichts sehen keine Flugzeuge, keinen Hangar, nur meilenlangen Stacheldraht.
Hinter dem Städtchen Mojave endete die Wüste und ging in eine leicht bergige Landschaft voller Zitrushaine über. Ich überquerte den Los-Angeles-Aquädukt, über den Wasser aus dem Norden Kaliforniens nach Los Angeles, fünfzig Meilen weiter südlich, geleitet wird. Der Smog der Metropole drang bis in diese Berge. Die Sichtweite betrug nicht mehr als eine Meile. Dahinter erhob sich eine Wand aus bräunlich grauem Dunst, hinter der die Sonne wie eine matt leuchtende Scheibe aussah. Alle Farben schienen gedämpft, und sogar die Berge wirkten gelbsüchtig. Sie waren rundlich und mit Felsbrocken und niedrig wachsenden Bäumen bedeckt. Die Landschaft hatte etwas seltsam Vertrautes an sich. Schließlich fiel mir ein, was es war. Dies waren die Berge, in denen in den fünfziger Jahren der Lone Ranger und Zorro und Roy Rogers und der Cisco Kid im Fernsehen herumgeritten sind. Bisher hatte ich nicht bemerkt, dass es sich bei dem Westen der Kinofilme und dem Westen der Fernsehproduktionen um zwei grundverschiedene Gegenden handelte. Die Aufnahmeteams der Kinofilme haben sich offensichtlich in den wahren Wilden Westen aufgemacht – in den Westen der bizarren Felsen und der roten Erde –, während die Fernsehgesellschaften aus Kostengründen nur ein paar Meilen in die Berge nördlich von Hollywood gefahren sind und am Rande von Zitrushainen gedreht haben.
Dies waren eindeutig die Felsblöcke, in denen Tonto, der treue Gehilfe des Lone Ranger, immer herumgeklettert ist. Jede Woche hatte der Lone Ranger Tonto losgeschickt, um über Felsblöcke zu krabbeln und nach einem Lager von bösen Buben Ausschau zu halten, und jede Woche wurde Tonto geschnappt. Es war ein regelrechter Teufelskreis. Jede Woche musste der Lone Ranger losreiten und Tonto retten, aber das machte ihm nichts aus, denn Tonto und er mochten sich sehr. Das merkte man an der Art, wie sie sich ansahen.
Mit ihnen haben wir unsere Abende verbracht. Heute sitzen die Kinder vorm Fernseher und sehen zu, wie Menschen zersägt werden und wie ihre Eingeweide durch den Raum spritzen, und sie denken sich nichts dabei. Selbst auf die Gefahr hin, dass die jüngeren meiner Leser mich für einen alten Knacker und Spielverderber halten werden, möchte ich an dieser Stelle erklären, wie bedauerlich ich es finde, dass es heutzutage keine gute, bekömmliche Unterhaltung mehr gibt wie in meiner Kindheit, als die Helden noch Masken, Umhänge und Peitschen trugen und als es noch echte Männerfreundschaft gab. Aber im Ernst, was hat man uns damals nur für seltsame Vorbilder
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