Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Bewohner weder Adolf
Hitler zu ihrem Führer erkoren, noch hatten sie ihre Nachbarn in die Gaskammern geschickt. Wäre ich ein passionierter Skifahrer und obendrein reich, würde ich schon allein aus diesen Gründen Sun Valley gegenüber Garmisch-Partenkirchen sofort den Vorzug geben. Da ich weder das eine noch das andere bin, blieb mir nichts anderes zu tun übrig, als in den Geschäften zu stöbern. Das Angebot bestand überwiegend aus todschicker Skibekleidung und exklusiven Geschenkartikeln – Dinge wie große Zinnelche für 200 Dollar und Briefbeschwerer aus Bleikristall für 150 Dollar. Die Inhaber dieser Läden gehörten zu dieser hochnäsigen Sorte, die einen keinen Moment aus den Augen lässt, als meinten sie, man würde etwas mitgehen lassen, wenn sie nicht aufpassten. Das ärgerte mich verständlicherweise, und ich beschloss, dort nichts zu kaufen. »Selber schuld«, murmelte ich eingeschnappt und ging hinaus.
Auch Idaho ist ein riesiger Staat. Er erstreckt sich über 550 Meilen von Nord nach Süd und ist im Süden 300 Meilen breit. So nahm die Fahrt nach Idaho Falls, unweit der Grenze von Wyoming, den Rest des Tages in Anspruch. Unterwegs kam ich durch die Kleinstadt Arco, die am 20. Dezember 1951 als erste Stadt der Welt mit Atomstrom aus dem ersten Kernreaktor der Welt versorgt wurde. Er befindet sich zehn Meilen südwestlich der Stadt auf dem Gelände des Idaho National Engineering Laboratory. Der Name täuscht. Das so genannte Laboratorium bedeckt eine Fläche von mehreren hundert Quadratmeilen und ist die größte radioaktive Müllkippe in den Vereinigten Staaten. Über vierzig Meilen führt der Highway zwischen Arco und Idaho Falls an der Anlage entlang, die mit hohen, gelegentlich von militärisch wirkenden Kontrollstellen unterbrochenen Zäunen umgeben ist. In der Ferne erkennt man riesige Gebäude, in denen die vermutlich mit weißen Raumanzügen bekleideten Arbeiter in Räumen wie aus einem James-Bond-Film herumlaufen.
Erst kurz zuvor hatte die US-Regierung zugegeben; dass aus einer der Lagervorrichtungen auf dem Gelände Plutonium in die Erde sickerte und sich den Weg zu einem riesigen unterirdischen Trinkwasserreservoir bahnte, aus dem Zehntausende von Menschen im südlichen Idaho versorgt werden. Plutonium ist die tödlichste aller der Menschheit bekannten Substanzen. Ein Löffel davon genügt, um eine ganze Stadt auszulöschen. Ist es einmal produziert, muss Plutonium 250 000 Jahre lang sicher gelagert werden. Die Regierung der Vereinigten Staaten hatte es nicht einmal geschafft, es sechsunddreißig Jahre lang sicher zu lagern. Ein überzeugendes Argument, wie ich meine, um keiner Regierung zu erlauben, mit Plutonium herumzuspielen.
Und hier handelte es sich nur um ein Leck von vielen. Aus einer ähnlichen Einrichtung im Staate Washington sind annähernd zwei Millionen Liter hoch radioaktiver Substanzen entwichen, bevor irgendjemand auf die Idee kam, einen Messstab in den Tank zu halten und zu prüfen, ob alles in Ordnung war. Wie können zwei Millionen Liter von irgendetwas einfach verschwinden? Das ist mir ein Rätsel. Jedenfalls möchte ich nicht mit dem Immobilienmakler tauschen, der in fünf Jahren in Pocatello oder Idaho Falls Häuser verkaufen soll, wenn die Erde zu glühen beginnt und die Frauen menschliche Fliegen gebären.
Noch war Idaho Falls allerdings ein nettes kleines Städtchen. Die hübsche Downtown stand in voller Blüte. Man hatte Bäume gepflanzt und Bänke aufgestellt. Quer über eine der Straßen spannte sich ein Transparent und verkündete »Idaho Falls sagt Nein zu Drogen«. Das wird die Kids sicher abschrecken, dachte ich. Das kleinstädtische Amerika ist besessen vom Kampf gegen Drogen. Ich neige jedoch zu der Annahme, dass bei einer Leibesvisitation jedes einzelnen Teenagers in Idaho Falls schlimmstenfalls ein paar schmutzige Magazine, ein Päckchen Kondome und eine halb leere Flasche Jack Daniels zum Vorschein kommen würden. Wenn Sie mich fragen, sollten die jungen Leute von Idaho Falls ermutigt werden, Drogen zu nehmen.
Dann werden sie besser damit fertig, wenn sie erfahren, dass ihr Trinkwasser mit Plutonium verseucht ist.
Ich aß in Happy’s Chinese Restaurant vorzüglich zu Abend. Außer mir befand sich nur eine Gruppe anderer Gäste im Restaurant. Sie bestand aus einem Ehepaar mittleren Alters, ihrer jugendlichen Tochter und einer schwedischen Austauschstudentin von strahlender Schönheit. Sie war blond, sonnengebräunt und hatte eine sanfte Stimme.
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