Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
dies oder Santa das heißt. Eine Fahrt quer durch den Südwesten kommt einer 800 Meilen langen Prozession gleich. Am schlimmsten haben es die Sangre de Christo Mountains in New Mexico getroffen. Ihr Name bedeutet »Blut-Christi-Berge«. Hat man jemals einen hirnverbrannteren Namen für ein Gebirge gehört? Nur hier, im echten Westen, im Land der Trapper und Bergbewohner, vermitteln die Namen Atmosphäre und einen Hauch von Romantik. Und ich befand mich nun kurz vor dem schönsten und romantischsten all dieser Orte: Jackson Hole.
Jackson Hole ist alles andere als ein Loch. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein reizvolles Tal, das von Nord nach Süd durch die Grand Tetons verläuft, durch die wahrscheinlich majestätischste Gebirgskette der Rockies. Mit ihren weißen Gipfeln über dem bläulich grauen Gestein sahen sie aus wie Blaubeeren mit Sahne. Am Südrand von Jackson Hole liegt das Städtchen Jackson. Es war ein seltsamer Ort, eine Mischung aus o-beinigen Yosemite Sams und teuren Geschäften wie Benetton und Ralph Lauren, deren Kundschaft im Winter aus den vielen
betuchten Skifahrern und im Sommer aus den nicht weniger finanzkräftigen Gästen der Ferienranches besteht. Überall in der Stadt wurde man an den Wilden Westen erinnert. Da gab es das Antler Motel, den Silver Dollar Saloon, die Hitching Post Lodge. Selbst in der Bank of Jackson, wo ich einen Reisescheck einlöste, entdeckte ich den ausgestopften Kopf eines Büffels an der Wand. Dennoch wirkte alles ziemlich natürlich. In keinem Staat des Westens ist der Wilde Westen noch so lebendig wie in Wyoming. Es ist noch immer ein Land der Cowboys, der Pferde und der endlosen Weite, ein Land, in dem ein Mann noch weiß, was er zu tun hat – was hier offenbar bedeutet, dass er in seinem Pick-up-Truck durch die Gegend fährt und ansonsten die Dinge eher gemächlich angehen lässt. Ich habe noch nie so viele Leute in Cowboykleidung gesehen, und fast jeder besitzt ein Gewehr. Erst wenige Wochen zuvor hatte die Legislative des Staates in Cheyenne beschlossen, dass fortan jeder Staatsbedienstete seine Handfeuerwaffen vor dem Betreten des Parlamentsgebäudes am Eingang abgeben muss. So geht es im Staate Wyoming zu.
Ich fuhr weiter zum Grand Teton National Park. Und hier haben wir einen weiteren Namen von atemberaubender Bildhaftigkeit. »Tétons« ist Französisch und bedeutet »Titten« – eine interessante Tatsache, die uns Miss Mucus, meine Geographielehrerin an der Callanan Junior High School, in der achten Klasse vorenthalten hat. Warum verheimlichen sie uns in der Schule immer die interessantesten Dinge? Hätte ich in der Highschool gewusst, dass Thomas Jefferson sich einen schwarzen Sklaven hielt, der ihm half, seine sexuellen Spannungen abzubauen, oder dass Ulysses S. Grant ein hoffnungsloser Säufer war, der sich nicht einmal selber den Hosenschlitz zuknöpfen konnte, dann wäre ich sicher ein aufmerksamerer Schüler gewesen, das können Sie mir glauben.
Wie dem auch sei, als die ersten französischen Forscher durch Wyomings Nordwesten kamen, riefen sie beim Anblick
dieser Berge aus: »Zut alors! Hey, Jacques, guck dir mal diese Berge an. Die sehen aus wie die tétons meiner Frau.« Ist es nicht typisch französisch, alles auf einen vulgären, sexuellen Nenner zu bringen? Dem Himmel sei Dank, dass die Franzosen nicht den Grand Canyon entdeckt haben, kann ich da nur sagen. Es kommt noch hinzu, dass die Tetons ungefähr so viel Ähnlichkeit mit Titten haben wie ... na, wie eine Bratpfanne oder ein Paar Wanderstiefel. Mit einem Wort, sie sehen überhaupt nicht wie Titten aus, höchstens vielleicht in den Augen sehr einsamer Männer, die schon viel zu lange von zu Hause fort sind. Eine gewisse Ähnlichkeit meinte auch ich zu entdecken.
Grand Teton National Park und Yellowstone National Park gehen ineinander über und bilden zusammen eine gewaltige Wildnis von über einhundert Meilen Länge. Während die Route 191, die Straße, die beide Parks verbindet, bereits wieder geöffnet war, hatten die Visitors’ Centres im Teton noch geschlossen. Außer mir war kaum jemand im Park unterwegs. In dieser herrlichen Abgeschiedenheit fuhr ich vierzig Meilen an den Wiesen des Snake River entlang, auf denen Elchherden vor dem Hintergrund der zerklüfteten Tetons grasten. Als ich den Yellowstone erreichte, schien das Wetter umschlagen zu wollen. Die Wolken wirkten schwer vor Schnee. Die Straße, auf der ich mich befand, ist sechs Monate im Jahr gesperrt. Das lässt ahnen,
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