Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
unbeschilderten Kreuzungen und muss dann zwanzig oder mehr Meilen orientierungslos durch die Gegend fahren, um sich hinter einer Kurve urplötzlich auf einer achtspurigen Autobahn mit vierzehn Ampeln wiederzufinden, auf der in einem wahren Schilderwald tausend Pfeile in tausend verschiedene Richtungen weisen. Lake Maggot State Park hier entlang. Curtis Dribble Memorial Expressway da drüben. US Highway 41 South. US Highway 53 North. Interstate 11/78. Business District hier lang. Dextrose County Teacher’s College da lang. Junction 17 West. Junction 17 Nicht West. Wenden verboten. Linke Spur muss links abbiegen. Bitte anschnallen. Bitte gerade sitzen. Heute schon die Zähne geputzt?
Hat man endlich begriffen, dass man sich drei Spuren weiter links hätte einordnen müssen, schalten die Ampeln auf Grün, und man wird wie ein Korken in einem reißenden Strom vom Verkehr davongetragen. Meinem Vater passierte das ständig. Ich kann mich nicht erinnern, dass Dad jemals über eine wirklich große Kreuzung gefahren ist, ohne dabei in eine Richtung getrieben zu werden, in die er nicht wollte – angesogen von einem schwarzen Loch aus Einbahnstraßen, einer Schnellstraße in die Wüste oder einer langen, gebührenpflichtigen Brücke auf eine der Küste vorgelagerten Insel, was eine peinliche und kostspielige Kehrtwendung zur Folge hatte. (»Hey, Mister, habe ich Sie nicht vor einer Minute aus der Gegenrichtung
kommen sehen?«) Die besondere Spezialität meines Vaters bestand in seiner Fähigkeit, sich hoffnungslos zu verfahren, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren. Niemals erreichte er einen Vergnügungspark oder eine Touristenattraktion, ohne sich vorher aus mehreren Richtungen anzupirschen. Er umkreiste sein Ziel wie ein Pilot einen unbekannten Flugplatz. Meine Schwester, mein Bruder und ich auf dem Rücksitz konnten es meistens an der anderen Seite des Freeways liegen sehen und schrie »Da ist es! Da ist es!« Eine Minute später erspähten wir es aus einer anderen Perspektive hinter einer Zementfabrik. Kurz darauf am gegenüberliegenden Ufer eines breiten Flusses. Dann wieder auf der anderen Seite des Freeways. Manchmal trennte uns nur ein hoher Stacheldrahtzaun von unserem Ziel. Dahinter parkten glückliche, sorglose Familien ihr Auto und freuten sich auf einen herrlichen Tag. »Wie sind die da reingekommen?«, jammerte mein Dad dann, und die Adern auf seiner Stirn pulsierten lebhaft. »Warum, um Himmels willen, kann die Stadt nicht ein paar Schilder aufstellen? Es ist kein Wunder, wenn man sich hier nicht zurechtfindet«, würde er hinzufügen und dabei geflissentlich die Tatsache übersehen, dass 18 000 zum Teil mit weitaus weniger Scharfsinn ausgestattete Menschen es ohne allzu große Mühen geschafft hatten, auf die richtige Seite des Stacheldrahtes zu gelangen.
Springfield war eine Enttäuschung. Eigentlich überraschte mich das nicht mal. Wäre es ein schönes Städtchen, hätte mir irgendwer gesagt: »Hör mal, du solltest nach Springfield fahren. Das ist wirklich ein schönes Städtchen.« Meine Hoffnungen stützten sich allein auf den, wie ich fand, vielversprechenden Namen. In einer Gegend, wo so viele Orte derbe, ausländische Namen mit lauter harten Konsonanten tragen – De Kalb, Du Quoin, Keokuk, Kankakee –, klang Springfield geradezu poetisch. Ein Name, der Visionen von saftigen Wiesen und kühlen
Wassern heraufbeschwört. Nichts dergleichen traf zu. Wie alle amerikanischen Kleinstädte hatte Springfield eine Downtown, bestehend aus Parkplätzen und ziemlich hohen Gebäuden, um die herum sich Einkaufszentren, Tankstellen und Schnellrestaurants ausbreiteten. Die Stadt war weder abstoßend noch anziehend. Ich fuhr ein wenig durch die Straßen, fand aber nichts, das das Anhalten lohnte, und fuhr weiter zum zwölf Meilen nördlicheren New Salem.
New Salem blickt auf eine kurze und nicht eben glückliche Geschichte zurück. Die ursprünglichen Siedler ließen sich an den Ufern eines Flusses nieder, um vom Handel entlang der Wasserstraße zu profitieren. Sie mussten jedoch zusehen, wie die Handelsschiffe ebenso gleichgültig an ihnen vorüberzogen wie der Fluss selbst. New Salem blieb der Wohlstand versagt. 1837 wurde die Stadt von ihren Bewohnern verlassen und wäre sicher nie in den Geschichtsbüchern aufgetaucht, hätte nicht von 1831 bis 1837 der junge Abraham Lincoln zu ihren Bürgern gezählt. Aus diesem Grund baute man New Salem auf einem 250 Hektar großen Gelände wieder auf. Heute sieht
Weitere Kostenlose Bücher