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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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in der Schule als ich, obwohl jeder wusste , dass ich eigentlich die klügere war. «
    Ich schaue meine selbstvergessene Schwägerin an. Einde u tig gibt es keine Möglichkeit, den Verlauf dieser Unterhaltung zu verändern. Ich sehe eine ganze Reihe Nachmittage voraus, die ich auf diese Weise verbringen werde: Joanie erzählt ihre eigene Geschichte, sie redet gepresst in Bars, in Apartments, in Autos, während Morgan und ich sie mit Fragen voll stopfen , damit ihre Selbstentdeckung in Schwung bleibt. Es kommt nur darauf an, überlege ich, die richtigen Fragen zu stellen.
    »Welches war der erste große Streit mit deinem Vater, der erste große Streit, an den du dich erinnern kannst? «
    »Den ersten richtigen Streit, meinst du? Ich glaube, das war noch bevor ich ein Teenager war – hast du gewusst , wie alt ich war, als ich geheiratet habe? Siebzehn. Da gab es einen Streit, wenn es dich interessiert. Ich sagte ihnen, ich wäre schwanger. Fred war in der Diele. Ich dachte, Papa würde ihn umbringen. Ich sollte im Herbst zu Sarah Lawrence, aber ich wäre, dies nur nebenbei, lieber gestorben als mich wieder in eine kleine Schule für reiche Töchterchen stecken zu lassen. Jedenfalls hat Papa stattdessen mich geschlagen. Himmel! Kannst du das glauben? Manchmal ist er wirklich aus dem Häuschen. Ich glaube aber, als er mich das erste Mal geschlagen hat, war ich elf oder zwölf. «
    Joanie hat sich im Sessel zurückgelehnt und lässt die Arme herunterbaumeln. Sie neigt den Kopf auffällig, so dass ihr Hals in einem sinnlichen Bogen aus der Bluse z u s pringen scheint. Ich verspüre den plötzlichen starken Wunsch, meinen Mund dorthin zu pressen.
    »Ich erinnere mich noch genau «, sagt sie. »Ich saß allein in dem großen Eckzimmer, das Morgan und ich damals gemei n sam hatten, in dem Haus, wo wir wohnten, bevor wir umgez o gen sind, in Settle Crescent, ein riesiges Bauwerk. Papa hatte mir an diesem Morgen mein Taschengeld gegeben. Zwei Do l lar. Nach dem Essen gab ich im Drugstore alles für Kosmetika aus. Ich sagte dem Mann, ich würde es für meine Mutter ka u fen. Er hat sicher gewusst , dass es eine Lüge war, denn ich war oft nachmittags dort und studierte die Regale mit den Kosm e tika. Er musste mich häufig beiseite drängen, wenn er zur R e gistrierkasse wollte. Augen-Make-up faszinierte mich, all die winzigen, spinnenartigen Pinsel und Farbtöpfchen . Und das Zeug, das man aufs Gesicht auftragen konnte und das so r o mantische Namen wie Orange Blush und Tango hatte. Jede n falls ließ der Mistkerl zu, dass ich mein ganzes Taschengeld für diesen Plunder ausgab. «
    »Dann bist du nach Hause gegangen und hast alles aufg e tragen «, sage ich.
    »Hundert Punkte für Ratefähigkeiten. Ich ging nach Hause und machte genau das, vor dem dreiteiligen Spiegel an me i nem Toilettentisch. Ich dachte mir, um wirklich hübsch zu sein würde es genügen, einfach große Augen zu haben, so wie A u drey Hepburn. Erinnerst du dich an Ein Herz und eine Krone? Als ich ein Kind war, war das ein alter Film, aber ihre Augen waren so groß wie Kürbisse, große weiße Kürbisse. Daher trug ich blauen und schwarzen Lidschatten auf, malte schwarze Wimpern auf die unteren Lider und rieb Maybelline auf. Dann trug ich Gesichtspuder auf, dann Lippenstift. Ich betrachtete das Ergebnis gerade im Spiegel und war sehr stolz auf mich, als Papa zur Tür hereinkam. Er brüllt e m ich an – zum ersten Mal in dieser Heftigkeit. Er schrie, ich wäre nicht besser als eine Hure, und dann schlug er mich. Er schleifte mich ins B a dezimmer und rieb mir mit einem kalten Waschlappen über das Gesicht. Ich schrie wie am Spieß. «
    (Was würde Abe Gabriel, der ewige Junge davon gehalten haben? Er war so entschlossen, Beichten, Szenen oder G e fühlsausbrüche jeder Art zu vermeiden, dass ich sicher bin, er hätte lauthals gelacht – und dann gesagt, dass sie särr dumm, särr sanft sei. Ich habe mich oft gefragt, wie Abe mit Joanies Hang zum Dramatischen zurechtkam, als sie zusammen in Haifa lebten und sie eine völlig neue Welt für sich alleine ha t te, in der sie sich produzieren konnte.)
    Sie richtet sich auf dem Stuhl auf. »Ich habe den ganzen Nachmittag geweint, und ich kam nicht zum Abendessen hi n unter. Nachdem alle gegessen hatten, kam Papa herauf und sagte mir, ich müsste alles zurückgeben. Er rief sogar den Drogisten an, um ihm zu sagen, dass ich kommen würde. «
     
    Diese Geschichte erinnert mich an Morgans und ihres Vaters Bemerkungen

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