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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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betrachtete, der freudestrahlend über die Natur des Staates Illinois referierte, erkannte ich in ihm dieselbe Fähigkeit. Seine Präsenz schien nach außen zu strahlen und eine beschützende Wolke um ihn herum zu bi l den, die das ganze Hintere des Autos ausfüllte: eine Aura des Selbstinteresses, in die wir anderen eindringen konnten, wenn wir wollten. Ich drang in seine Welt ein, indem ich mich sei t lich an den Sitz lehnte und mich mit ihm unterhielt; die Frau blickte, wie ich sah, gelegentlich neugierig in den Rückspi e gel. Auf der Fahrt nach Arles stellte sie ab und zu einmal eine Frage, und dann wieder, als wir in dem Verkehrsstau dicht vor der Stadt steckten, der uns zu einer ausführlicheren Unterha l tung zwang. Am Ende unterhielten wir uns, als wären wir eine Familie, auch wenn mir viele von Magruders Ansichten albern erschienen.
    »Frankreich ist ein so wunderbares Land «, sagte er. » Jedes Mal , wenn ich eine Biegung der Straße erreiche, sehe ich eine neue Welt vor mir – eine neue Weise, das Land zu formen. Es ist, als wäre das ganze Land von einer unermesslichen Lan d schaftsfirma konstruiert worden. Ich mag sogar die Leute, Mann. Ich habe vor, mich eine Weile in Arles herumzutreiben, bevor ich ein Stückchen Weiterreise und mich dann zur span i schen Grenze durchschlage. Ich mag die harsche, zerklüftete Gegend dort. «
    »Ich auch «, sagte die Frau. »Südfrankreich besitzt eine Weite, die mir schon immer gefallen hat. Es ist Cezannes Land, alles blau und gelb und immer zur Unsichtbarkeit hin abgestuft. «
    »He! Sie sind Engländerin! « Er schlug mit seiner großen Hand auf den Sitzbezug und brachte damit alle da ra uf liege n den Gegenstände zum Hüpfen. »Sie sind Engländerin! Das höre ich an Ihrer Stimme! Aus welchem Teil von England stammen Sie? « Er beugte sich nach vorn und versuchte, das Gesicht der Frau im Spiegel zu sehen. »Aus London? «
    »Nein, ich wurde in einem Dorf namens Mortonhampshire in Devon geboren «, sagte sie. »Aber ich habe lange in London gelebt. «
    »Das ist großartig «, sagte Magruder. »Ich finde Engländer fantastisch. Devon. Dort genau war ich noch nie, aber ich war diesen Sommer einige Wochen in London. « Er schwieg einen Augenblick. »Großartig «, sagte er.
    »He! « fuhr er dann fort, nachdem er eine Weile den Kopf gesenkt hatte. »Das ist ja ein Büchermobil! Sind Sie Professor oder so etwas? «
    »Ich? « fragte die Frau.
    »Nein, Sie «, sagte er zu mir. »Warum wollen Sie ein B ü chermobil sein? Himmel, sogar Henry James. Ach du Scheiße, das ist ja nur Henry James! Heutzutage liest das doch kein Mensch mehr. Puh! Sogar Übersetzungen. «
    »Ich lese diesen Monat James «, sagte die Frau. »Ich vers u che, die Übersetzungen aller Romane zu lesen, die übersetzt worden sind. Das hilft mir, die Bücher in einem neuen Licht zu sehen. In Französisch ist James schrecklich übermütig. «
    »Welches ist das beste? « fragte er und stöberte in den B ü chern.
    »Es gibt eigentlich kein bestes «, sagte die Frau. »Wenn Sie einsteigen wollen, dann fangen Sie vielleicht mit Roderick Hudson oder Bildnis einer Dame an. Die sind nicht so schwi e rig wie die meisten der späteren Werke. «
    »Nun, ich lese nicht besonders viel, aber vielleicht versuche ich es mit einem. Was ist das hier, Bol d ’ Orl Ist das gut? «
    Sie sah in den Rückspiegel, um sein Gesicht zu sehen.
    »Das ist eine Übersetzung von The Golden Bowl, seinem letzten Roman. Soweit bin ich noch nicht gekommen. Die mit den grünen Schutzumschlägen sind allesamt Übersetzungen. «
    Ich sah Magruder an. Er hatte die Arme über der Brust ve r schränkt und lehnte sich gegen das Polster zurück. »Nun gut, vielleicht versuche ich es mit einem. Aber was soll das viele Lesen überhaupt? Sie teilen die Fantasiegebilde eines anderen. Ist das nicht Zeitverschwendung? « Seine Stimme hatte einen freundlich-gutmütigen Unterton, der seinen Worten jede mö g liche Unhöflichkeit nahm.
    Ich versuchte, schnell zu sprechen, während ich mir alle Gründe überlegte, die mir im Augenblick einfielen: Ich glau b te, einen Angelpunkt in seiner Frage, in der Magruder- Methode, zu erkennen. »Ich nehme an, die Menschen lesen aus unterschiedlichen Gründen «, sagte ich. »Eskapismus könnte einer davon sein. Aber ich glaube nicht, dass es der einzige ist. Manche Menschen lesen, um etwas über den A u tor und seine Ansichten herauszufinden. Seine Werte, welche Lebensweise er billigt. Manche Menschen

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