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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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lesen, weil ihnen gefällt, wie verschiedene Schriftsteller mit Worten umgehen – oder wie sie Szenen aneinanderreihen. Es ist, als würde man ein Gemälde ansehen und auf seine Komposition a n sprechen, auf die Verwendung von Farben. Ich weiß nicht, was sonst noch; eigentlich lese ich auch nicht besonders viel. Aber ich weiß, dass manche Menschen Romane lesen, weil sie eigene kleine Welten für sich sind, Welten, in denen alles organisiert ist , gewissermaßen eine Welt, die auf Ihrem Z e hennagel erbaut ist. «
    Er blinzelte, wie um meine didaktische Art zu verspotten, und kreuzte wieder die Arme über der breiten weißen Brust. »Ich verstehe Sie nicht «, sagte er, »aber ich nehme Ihr Wort darauf. Nun … sehen Sie. Ich habe ei nm al etwas gelesen, eine gewaltige Schwarte mit dem Titel Der Idiot. Ich mochte es, auch wenn ich vier Monate gebraucht habe, um durchzuko m men. Zuerst brachte ich alle Namen durcheinander. Ich vergaß ständig, was eigentlich vor sich ging. Aber das Buch hatte e t was Feuriges, wenn Sie verstehen, was ich meine. Eine Art von Wahrheit. Das war wirklich, nichts Papiernes. Das hat mir gefallen. Haben Sie je das Buch von diesem Burschen gelesen, der von der Teufelsinsel geflohen ist? Papillon? Das hat mir auch gefallen. Es ist wirklich abenteuerlich. «
    Glücklicherweise lenkte uns das Plärren von Autohupen ab. Ich spürte mehr, wie die Frau ungeduldig auf das Lenkrad trommelte, als ich es sah. Am Rande meiner Wahrnehmung erblickte ich ein Verkehrsschild, auf dem Stand: Arles 3 km. Wir bremsten. Das Hupen kam von einer Autoschlange, die mit dem Fahrzeug direkt vor uns begann und sich dann weiter über eine Brücke erstreckte, über einen kleineren Hügel und schließlich verschwand. Auf der entgegengesetzten Spur fu h ren spärlich und schnell Automobile vorbei. »Es ist August, Mann «, hörte ich Magruder sagen. »Alle haben Ferien. «
    »Wenn das so weitergeht «, sagte ich, »werden sie ihre Fer i en auf der Straße verbringen. Gibt es irgendwo eine Nebe n straße in die Stadt? Wir sind nur noch drei Kilometer davon entfernt. «
    Die Frau beschattete die Augen. »Ich sehe keine «, sagte sie. »Die Straße verläuft über diese Brücke; vielleicht gibt es d a hinter eine Nebenstraße? Sollen wir sie nehmen, wenn es eine gibt? «
    »Das entscheiden wir, wenn wir dort sind «, sagte ich. »Ich schätze, wir stecken hier eine Weile fest. Aber diese Autos können doch unmöglich alle nach Arles fahren. Ich wette, die meisten wollen direkt zur Küste. « Die Geräusche von Hupen und Stimmen summten wie Bienen in der knisternden Luft außerhalb der Autos.
    Ohne Vorwarnung erbebte das Auto plötzlich und begann zu stottern. Zugleich flackerten die Lichter am Armaturenbrett und leuchteten rot. Plötzlich gab das Auto überhaupt keinen Mucks mehr von sich; sofort gingen alle roten Lichter an.
    »Was ist passiert? « fragte ich sie.
    »Es ist einfach ausgegangen. Der Motor, glaube ich. « Sie drehte den Zündschlüssel hin und her. »Nichts passiert «, sagte sie. Sie hielt den Schlüssel fest und trat das Gaspedal durch. Das Auto gab ein ersticktes Knurren von sich, wie ein schl a fender Löwe.
    »Versuch es noch einmal «, sagte ich.
    Magruder meldete sich vom Rücksitz. »Treten Sie das Gas nicht zu sehr durch. Autos wie dieses laufen in etwa zwanzig Sekunden voll. Einem Freund von mir ist das mal auf dem O u ter Drive in Chicago passiert. Er musste von einem Lastwagen voller Soldaten gerettet werden. Drehen Sie einfach den Zün d schlüssel und treten Sie nicht auf das Gas. «
    Das Auto knurrte erneut. Es stotterte mehrmals und ve r stummte dann wieder. Nach einer Weile gab es knirschende Geräusche von sich. Sie ließ den Zündschlüssel los, und das Auto wurde still, was wir dankbar zur Kenntnis nahmen.
    »Ich fürchte, es stimmt etwas ganz entschieden nicht d a mit «, sagte sie.
    »Nun, vielleicht ist es überflutet «, sagte Magruder. »Vers u chen Sie es noch einmal. «
    Diesesmal gab der Motor eine Reihe von pfeifenden Gerä u schen von sich. Das Pfeifen verwandelte sich allmählich in ein Geräusch, wie ihn ein Mixer von sich gibt, dann hörte auch das auf.
    Ich stöhnte und ließ mich in den Sitz zurücksinken. »Nun, warten wir einfach eine Weile ab. Vorerst ist es einerlei, weil sowieso niemand weiterkommt. «
    Das stimmte. Die anderen Autofahrer in der Schlange hatten mittlerweile zu hupen aufgehört, als hätten sie alle gleichzeitig die Vergeblichkeit ihres Tuns

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