Straub, Peter
eingesehen. Die Automobile standen, jedes nur Zentimeter von den anderen entfernt, in vö l ligem Schweigen da. Von der Wagenreihe vor uns stieg Hitz e flimmern auf.
»Nun, das war ’ s, Freunde «, sagte Magruder. »Möchten Sie sich gerne die Beine vertreten? «
Ich hörte, wie nacheinander viele Autotüren zugeschlagen wurden, dann begannen Stimmen zu sprechen. Ein Mann in einem engen roten T-Shirt kam an meiner Seite am Auto vo r bei und grinste auf mich herab. Er schlug mit der Handfläche auf die Haube und ging dann weiter zu dem blauen Auto vor uns. Der Fahrer dieses Wagens beugte sich auf dem Sitz he r über, um mit ihm zu sprechen. Die beiden Männer schienen entspannt und sichtlich unbeeindruckt zu sein: sie hielten die Arme hoch in die Luft, sahen nach vorn, die Hände über den Augen, und lachten. Ich drehte mich um und sah an Magruder vorbei nach hintern. Entlang der ganzen Schlange taten Mä n ner und Frauen dasselbe, sie stiegen aus ihren engen Fahrze u gen aus und standen gestikulierend im Sonnenschein. Geläc h ter und laute Stimmen ertönten um mich herum. Mir wurde plötzlich klar, wie vollkommen anders dieselbe Szene in New York oder Boston ausgesehen hätte.
Magruder räusperte sich. »Wie ich schon sagte, das war ’ s, Freunde. Ich möchte nicht die ganze Zeit mit Schweigen ve r geuden. Steigen wir doch aus und schnappen ein wenig frische Luft. « Er legte mir die große Hand auf die Schultern. Wie hypnotisiert öffnete ich die Tür und stieg aus. Der Mann im roten T-Shirt winkte mir lachend zu. Ich erwiderte das Wi n ken.
Magruder und ich gingen zum Straßenrand und setzten uns im Schatten des Autos nieder. Die Frau war nah e g enug, uns zu hören und an unserer Unterhaltung teilzuhaben.
»Ich habe eine Idee «, sagte er. Er warf Kieselsteine ein paar Meter in die Luft und fing sie wieder auf. »Wenn es weite r geht, bitten wir den Burschen hinter uns, uns anzuschieben. Wahrscheinlich liegt es an der Batterie. « Er legte sich flach auf den Boden. Ich stimmte mit ihm überein: das war eine Lösung, auf die ich auch hätte kommen müssen. »Das ist wie in Ill i nois, Mann. Die verfluchte Hitze. Man starrt in sie hinein, und sie starrt zurück. Wo ich hingehe, da ist es die meiste Zeit des Jahres kühl und angenehm windig, so dass das Gehirn klar bleibt. «
»Wohin gehen Sie denn? « Mir fiel ein, was er vorhin gesagt hatte. »Ach so, die Pyrenäen, nicht? Wie lange werden Sie dort bleiben? Bis zum Ende des Sommers? «
Magruder stieß einen glücklichen Seufzer aus. »Nein, Sir, nein, Sir. So lange die Sonne aufgeht. So lange, wie sie mich haben wollen. «
»Wer? « Dies sagte die Frau.
»Die Brüder. Im September oder Anfang Oktober gehe ich in ein Kloster. Vielleicht haben Sie schon davon gehört. Es heißt Abtei von St. Martin du Cawigou und ist weit oben in den französischen Pyrenäen. «
Ich wollte in schlichter Verblüffung sagen: »Mein Gott! Ein Kloster? Weshalb denn das? « Stattdessen spielte ich mit den Kieseln am Boden. Der Mann im roten T-Shirt vor uns aß ein Sandwich, das ihm der Fahrer des blauen Wagens gegeben hatte. Eine Frauenhand griff durch das Fenster und hielt ihm eine Flasche Wein hin. Er hielt sie einen Augenblick an den Mund, dann gab er sie ihr zurück.
»Wollen Sie Mönch werden? « fragte ich. Es schien unmö g lich zu sein.
»Nein, eigentlich nicht. Überhaupt nicht, würde ich sagen Ich möchte nur dort leben. Ich habe hingeschri eb en und ang e fragt, und sie sagten, es wäre in Ordnung, ich könnte ihnen bei der Arbeit helfen. Ich muss lediglich ihr Gelübde ablegen. «
»Aber warum so fernab von der Welt? « Die Frau beugte sich durch das Wagenfenster und stützte sich auf die Ellbogen. Ihr breites Eskimogesicht sah sehr reizend und sehr skeptisch aus.
Als er sie ansah, schien er innerlich vollkommen von Fri e den erfüllt zu sein. »Warum Henry James lesen? « fragte er. »Andere Länder, andere Sitten. Auch das ist die Welt, wissen Sie. « In seinem ausländischen Aufzug schien er schon seit immer und ewig an dieser Stelle zu sitzen. Soviel Frieden hatte den Hauch von etwas Barbarischem. Ich fragte mich, was er geopfert hatte, um so weit zu kommen.
»Sind Sie gläubig? « fragte ich ihn.
»Nein. Ich bin nicht einmal Katholik. Angefangen hat es damit, dass eines Tages eine Dame bei mir klingelte. Sie sagte, sie wäre eine Zeugin Jehovas und wollte sich mit mir über e i nige Dinge unterhalten, die ihr etwas bedeuteten. Ich unterhielt mich mit
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