Straub, Peter

Hotel «, sagte die Frau. »Ich bin erschöpft. Wir haben eine Ewigkeit in diesem Stau gesteckt. « Sie fuhr das Auto auf einen Parkplatz bei einem seltsamen Bauwerk aus grauem Stein, das wie ein viktorianisches Postamt aussah. Wir stiegen alle aus.
    Nachdem Magruder sich aus dem Rückteil herausgeschält hatte, schulterte er seinen Rucksack und streckte seine große Hand aus. »Vielen Dank, Mann «, sagte er. »Vielleicht sehen wir uns einmal wieder. « Ich schüttelte ihm die Hand, die Frau nach mir. »Adios «, sagte er.
    »Leben Sie wohl. «
    Er verschwand in einer Nebenstraße, die weiße Jacke schlotterte um ihn herum.
    Wir sahen uns um, ob es auf dem Platz, wo wir hielten, eine Buchhandlung gab. Die Frau und ich hatten eine Technik en t wickelt, in einer fremden Stadt gute Hotels zu finden: wir gi n gen immer in eine Buchhandlung, um einen Stadtplan zu ka u fen, und unterhielten uns mit dem Verkäufer. Die Verkäufer in Buchhandlungen kannten immer genau die Art von Hotel, nach der wir Ausschau hielten, einen stillen Ort ohne allzu viele Amerikaner, und konnten ihn uns auf der Karte zeigen.
    An einer Seite des Platzes hinter uns erblickte die Frau ein winziges Geschäft, in dessen Schaufenster Karten an Schnüren hingen, daneben die bunten Schutzumschläge von Büchern. Im Ladeninneren roch es stark nach Gauloises. »Ja, ja «, sagte der Eigentümer und deutete auf eine Stelle unserer Karte. »Ne h men Sie das H o tel Gauguin. Das ist genau das richtige für Sie. Sehr einfach, sehr gut. « Er legte mir die Hand auf die Schulter und ging mit mir zur Ladentür. »Und, Monsieur, Sie sollten den Place du Forum nicht verlassen, ohne sich vorher die R e ste des römischen Forums anzusehen, das einst hier gestanden hat. «
    Voller Nachdruck deutete er mit dem ganzen Arm in Ric h tung unseres Automobils. »Sehr schön, nicht wahr? Die Sä u len stehen bereits seit Jahrtausenden hier, und sie erinnern mich daran, wie bescheiden doch unser Leben ist. Geht es I h nen nicht auch so? «
    Ich sah mir das genauer an, was ich beim Aussteigen für die Fassade eines Postamts gehalten hatte: auf der anderen Seite unseres Autos befand sich eine perfekte Reihe korinthischer Säulen, die auf seltsame Weise in das Mauerwerk dazwischen eingebettet waren. Die Säulen hatten eine perlgraue Farbe und waren sehr hoch, sie überragten alle anderen Gebäude rings um den Platz: das ganze Bauwerk vermittelte einen solchen Eindruck von Größe, dass alles in seiner Umgebung zu Zwe r genhaftigkeit zu schrumpfen schien.
    Die Frau drehte sich entzückt zu dem kleinen Buchhändler um und redete mehrere Sekunden in schnellem Französisch auf ihn ein. Der Mann nickte glücklich mit dem Kopf. Wieder wandte er sich an mich. »Monsieur, Ihre gütige Frau hat g e sagt, dass ich sehr glücklich sein muss , im Schatten dieser e d len Säulen zu wohnen. Sie möchte mir sagen, dass sie ihr sehr gut gefallen, und ich möchte Ihnen sagen, dass sie mir damit eine große Freude gemacht hat. Vergessen Sie auf keinen Fall, unser Th ea tre Antique und die Arena zu besichtigen. Sie sind in der Karte eingezeichnet. « Er winkte, eine knappe, unte r drückte Geste mit der linken Hand, dann ging er wieder in se i nen Laden. Wir blieben allein auf dem Trottoir des verlassenen Platzes stehen, über den die massiven Säulen ragten.
    »Er ist stolz darauf, und das mit Recht «, sagte ich. Wir gi n gen über das Kopfsteinpflaster des place auf die grauen Säulen zu. Als wir dort ankamen, legten wir – eine gemeinsame Geste – jeder eine Hand auf die kalten Flanken und glatten Krü m mungen des Steins. Wir standen einen Augenblick reglos da und ließen die Hände auf dem behauenen grauen Stein ruhen. Er drang auf uns ein, der gleichgültige magisteriale römische Zentralismus, der Marktplatz, Gericht und Geschäftssaal in ein und demselben Gebäude unterbrachte, das durch gewaltige Säulen gekennzeichnet war. Unsere Hände wurden kalt vom Stein, und wir ließen sie sinken. Sie hatten auf unbestimmte Art etwas Böses an sich.
    »Hast du wirklich diesen Unsinn zu ihm gesagt? « fragte ich.
    Sie sah mich hintergründig an und stemmte die Fäuste in die Taille. »Ich habe nichts dergleichen gesagt «, antwortete sie.
    Als wir wieder im Auto saßen und auf der schmalen Straße entlang der Rhone zum Hotel fuhren, sagte sie: »Warum sind alle, denen wir heute begegnen, so gesprächig? Man muss sich vorstellen, jemand wie er zitiert Jesaja ! « Ich antwortete nicht, sondern