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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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gesagt habe. Du wirst von Deinem eigenen Willen gezwungen sein, Dir selbst diese Minuten immer wieder aufzuzählen und zu durchdenken, um zu sehen, was geschehen ist, um den Auge n blick zu lesen.
    Uns ist folgendes widerfahren. Magruder versuchte höflich, eine Unterhaltung in Gang zu halten, er erzählte dauernd von Hermann Hesse und Satie – was für eine vorhersehbare Pe r sönlichkeit er war! – und kaufte mir einen pastis. Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Er sagte, Du würdest j e den Augenblick zurückkommen. Er hustete. Er bestellte noch ein Bier. Seine ganze Fröhlichkeit und Unbekümmertheit schien aufgesetzt, unehrlich zu sein; ich versuchte, ihn dazu zu bringen, über sich selbst zu reden – eigentlich, um sich zu e r holen, denn er schien niedergeschlagen zu sein, während er so da saß. Als er schließlich redete, überraschte mich seine au f richtige Freundlichkeit, seine Offenheit. Ich spürte, dass er zwei verschiedene Welten in sich hatte: eine war unbekü m mert, redselig und seicht, und die andere war tatsächlich b e deutend, die Welt des Mönchs, der er sein wollte. Und das brachte mich dazu, mit ihm zu gehen, ich finde jedoch, dass Dich das nicht unbedingt etwas angeht. Vielleicht gerate ich ins Schwafeln.
    Doch was sollte ich tun? Wenn Du jemals in einem Kra n kenhaus gewesen bist, besonders in einem französischen, und der Aufenthalt hat länger als eine Woche gedauert, dann weißt du, wie sehr sie einen in sich selbst zurückdrängen, wie lan g weilig sie sein können: gena u d er rechte Ort, um Ouida zu l e sen! (Ich bin immer noch bei James, und dafür bin ich Dir dankbar. Das war wirklich überraschend aufmerksam.) Mein Mann wird bald hier sein, daher muss ich aufhören. Und a u ßerdem ist sowieso alles aus, nicht? Ich glaube, Du hast Dich entschieden. Ich glaube, wir haben einander enttäuscht. Und doch … liebe ich Dich immer noch. Bitte schreibe mir. «
     
    Als ich in das Cafe zurückkam, saß ein dicker Mann mit So n nenbrille an unserem Tisch, der eine unförmige Frau im H o senanzug dabei hatte. Ich sah in das Cafe hinein, aber Magr u der und die Frau waren nirgendwo in diesem Alptraum aus Chrom und Kunststoff zu sehen. Von dem Augenblick an, da ich das Cafe betreten hatte, fühlte ich mich wie von Profis ve r prügelt. Ich trank ein Bier, ging ins Hotel zurück und schlief.
    Eine halbe Stunde später wurde das Licht eingeschaltet. Sie stand im Zimmer und wusch sich vor dem Spiegel das Gesicht.
    »Hast du sie gefunden? «
    »Sie verschwanden in der Arena in einer Wand. «
    »Bevor Sie verschwanden – hast du sehen können, ob es die Leute waren, die du gesucht hast? «
    »Ich weiß nicht. Möglich. Ich glaube, es waren diese Leute. Ja. «
    Die Frau trocknete sich das Gesicht an einem der Handt ü cher des Hotels ab. Vom Bett konnte ich die reizende Linie ihres Haars und den geraden Kiefer sehen: das Gesicht im Spiegel vor ihr sah müde aus. Ich richtete mich auf und rieb mir die Augen.
    »Ich kann mir das nicht erklären «, sagte ich. »Ich habe sie bis in die Arena verfolgt, ging hinein und folgte ihnen durch eine Arkade in ein Zimmer ohne andere Ausgänge. Und als ich dort hinkam, waren sie verschwunden. Ich sah sie in die K a mme r gehen, aber sie waren einfac h v erschwunden. Und sie sahen genauso aus wie das Paar, das ich in Amerika kannte, der Mann, der einen anderen Mann umgebracht hat. «
    »Ich bin müde. Leg dich zu mir, ja? « Sie zog das weiße Kleid aus und kam auf mich zu, wobei sie es zu Boden fallen ließ. Ich hielt sie wortlos im Arm; mir war, als wären wir beide auf einem Schiff gegen die Strömung, eine Richtung, die wir vorsätzlich ausgesucht hatten. Als ich versuchte, ihr eine Frage zu stellen, presste sie einen Finger auf meine Lippen.

5
     
    An einem außergewöhnlich kalten Oktobertag in diesem Jahr unternahm ich einen außergewöhnlich langen Spaziergang die Camden High Street hinab bis nach West End. Ich nickte dem Bloomsbury Hotel zu, als ich daran vorbeiging, und musste an den netten alten Mr. Franciscus denken, der hier bei uns gew e sen war und uns zum Essen eingeladen hatte – nur zwei Mon a te bevor er sein Leben auf der Straße aushauchte, dann ging ich achselzuckend weiter, den Mantelkragen aufgestellt, bis zum Trafalgar Square, wo ein paar einsame Kinder in erbär m lichen Jacken die Lichter im großen Springbrunnen bestau n ten. Auch ihnen war es kalt, und ich sah wohlgefällig, dass sie einige Decken auf den kalten

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