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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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Steinbänken ausgebreitet hatten.
    Ich ging zur Nordseite des Platzes und stand schließlich vor der frostigen weißen Fassade der National Gallery , und dann ging ich weiter die Charing Cross Road entlang, wo ein Monat des Regens und bitterkalten Wetters die Kreidebilder von J e sus Christus, verschiedenen Popsängern und zahlreichen a n onymen blonden Mädche n w eggespült hatte, die von den Pfl a stermalern dorthin gemalt worden waren. Ich hatte vorgehabt, die ganze Strecke zu Fuß zu gehen, aber vor dem Theatre Adelphi strich mir der Wind wie ein eisiges Tuch übers G e sicht, und ich nahm den Bus Nr. 24 nach Camden Town. Auf der Rückfahrt schlief ich auf dem schaukelnden Sitz fast ein.
    Als ich heimkam, war Morgan bereits zu Bett gegangen. In dem beinahe wortlosen Waffenstillstand zwischen uns beiden hatte sie das Licht im Wohnzimmer angelassen, so dass ich nicht im Dunkeln über die Sessel stolpern musste , um es ei n zuschalten. Es war nett von ihr, eine › Geste ‹ , wie wir jetzt sa g ten. Ich warf meinen Mantel über einen Sessel und ging in die Küche, um mir einen Drink zu machen. Auf dem Küchentisch lag eine Packung Silk Cut – Joanies Zigarettenmarke. Ich nahm eine und zündete sie mit den Streichhölzern an, die auf dem Gasherd lagen. Es war meine erste Zigarette seit zwei Wochen. Joanies gestreifter Pelzmantel lag unordentlich auf einem Stuhl vor einer Kaffeetasse und einem Untersetzer voll Zigarettenkippen. Ich spülte Tasse und Untersetzer mit kaltem Wasser aus und hing den Mantel an einen Haken, bevor ich wieder in die Küche ging, um die Whiskeyflasche und ein Glas zu holen. Als ich zwei Finger breit Scotch in das Glas gegossen hatte, klingelte das Telefon im anderen Zimmer.
    Aus dem Hörer kam ein schrilles Pfeifen, durch das ich g e rade die Stimme des Fernamts hören konnte, die meinen N a men nannte. »Das ist richtig «, sagte ich.
    »Wir verbinden Sie «, sagte sie.
    Eine französische Stimme sagte etwas, das ich nicht hören konnte. Das Zischen im Hörer schien die Tonart zu wechseln, als würde bei einem Sturm eine Tür geöffnet werden. »Sie können jetzt sprechen «, sagte eine Stimme.
    »Hallo? «
    »Hallo? «
    »Ist das Owen? « Durch den Windsturm erkannte ich M a gruders Stimme. Ich sagte nichts, sondern nahm den Hörer vom Ohr und hielt ihn in einiger Entfernung.
    »Owen, hören Sie mich an. Ich musste per Anhalter bis zu diesem verdammten Dorf fahren, und es regnet wie der Teufel, und ich gebe mein letztes Geld für dieses Gespräch aus. Also hören Sie mir zu, ja? Meine verdammten Füße bluten, Owen. «
    »Ich höre zu. «
    »Haben Sie einen Brief von ihr erhalten? «
    »Ja, habe ich. «
    »Ich auch. «
    »Ich weiß «, sagte ich. »Das ist mir einerlei. «
    »Nun, deswegen habe ich eigentlich nicht angerufen. Ich wollte nur wissen, ob Sie etwas von ihr gehört haben. «
    »Habe ich. «
    »Ich wollte Ihnen nur sagen, ich habe diese Ikone. Sie kam gestern vom Dorf herauf. «
    »Ja? «
    »Ich will sie nicht behalten. Ich finde, das wäre nicht ric h tig, verstehen Sie? Sie macht mich unbehaglich, weil sie hier so auffällig ist. Ich ertrage es kaum, sie in meinem Zimmer zu haben. Wie dem auch sei, ich verlasse St. Martin irgen d wann nächsten Monat und gehe nach Katmandu, und ich möchte sie nicht mitnehmen. Ich könnte sie verlieren oder beschädigen. «
    Ich fragte: »Und? « Obwohl ich genau wusste , was er sagen wollte.
    »Nun, deshalb habe ich angerufen. Ich finde, Sie sollten sie bekommen. Ich weiß nicht, warum sie sie mir geschickt hat. «
    »Mir egal «, sagte ich. »Machen Sie damit, was Sie wollen. «
    »Nun, soll ich sie Ihnen schicken oder nicht? Glauben Sie, sie wusste , dass ich das tun musste ? «
    »Was tun? «
    »Sie anrufen. «
    »Gut, schicken Sie sie «, sagte ich.
    »Sie haben sich geirrt. Das wissen Sie, nicht? Sie waren so dumm. Sie hat sie die ganze Zeit geliebt. Ich habe nicht einmal angefangen, sie zu berühren. Wir haben überhaupt nichts g e tan, um Himmels willen. «
    »Schicken Sie sie her, wenn Sie möchten «, sagte ich.
    »Sobald ich wieder ins Dorf komme. Oh, noch etwas? «
    »Und das wäre? «
    »Nun, sie ist doch wertvoll, nicht? Für wie viel soll ich sie versichern? «
     
    Joanie kam durch die Dielentür in die Küche. Sie hatte ein rosa Nachthemd an, und ihre Füße sahen auf dem roten Fußboden kalt und weiß aus. Sie rieb sich das verschlafene Gesicht.
    »Du hast meinen Mantel aufgehängt «, sagte sie.
    »Ja «, sagte ich. »Geh

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