Straub, Peter
einen nach oben führenden Fußweg münden. Als ich das Tor passiert hatte und drei Stufen auf einmal hinaufsprang, sah ich, wohin sie gingen.
Auf dem Hügel, umgeben von gelben Hütten und span i schen Armen, ragt ein gewaltiges Bauwerk auf, das einer Hochzeitstorte ähnelt. Es ist kreisförmig und aus verwitterten Steinen erbaut, die sich zu Bögen und Fenstern und Stufen und fantastischen Türmchen krümmen; die Arena ist um einen we i ten offenen Platz herum erbaut, etwa von der Größe einer Stierkampfarena, der als Brennpunkt der blutigen römischen Spiele diente. Unwillkürlich fällt mir die Liste ein, die ich der Frau vorge lesen habe: lions, tigres, pantheres, elephants, rh i noceros. Das schien der unweigerliche Schauplatz für das E n de meiner Jagd nach den La Rochelles zu sein.
Als ich das Plateau erreichte, wo die Straße sich zu einer Plaza verbreitert, sah ich über die Versammlung von Hippies und Touristen zu meiner Rechten hinweg und entlang der Krümmung der Arena bis zu ihrem Eingang. Die beiden waren dort; die Frau hielt die Handtasche hoch und suchte darin nach dem Eintrittsgeld. Ich rannte durch den Verkehrslärm und die Hitze auf sie zu. Unter mir flatterte eine Taube davon, sie suchte ihr Heil in panischer Flucht. Das Schlagen ihrer Flügel übertönte einen Augenblick das Hupen der Autos.
Ich erreichte den Eingang zur Arena in dem Augenblick, als die La Rochelles ihre Karten gekauft hatten, denn ich sah seine gelbe Jacke im Schatten am Ende des Gangs verschwinden, ebenso das blonde Haar seiner Frau. Ich holte einen Fünffran c schein aus der Tasche und schob ihn unter dem Gitter durch. Der alte Mann in der Kabine ergriff mit zittrigen Fingern das Ende der Kartenrolle und riss eine ab. Ich streckte die Hand soweit es ging unter dem Gitter hindurch und riss sie ihm aus der Hand. Die La Rochelles hatten die Arena bereits erreicht und befanden sich wahrscheinlich in einer der Kammern an den Wänden um das Bauwerk herum, oder in einem der Gä n ge, der in den staubigen Mittelbereich führte.
Das Bauwerk glich einem riesigen Rad, in dem es Arkaden und Säulengänge gab, Kammern und Hallen. Wenn ich nicht schnell genug in die Eingangshalle kam, konnten sie in einer der beiden Arkaden verschwinden, die von dort aus in die zahlreichen kleinen Nebengänge führten, und dann hätte ich sie wirklich verloren. Nachdem ich dem verblüfften alten Mann die Karte aus der Hand gerissen hatte, warf ich mich in die Menge der Touristen, die sich vor einem Fremdenführer drängten. Ich stieß mich quer durch, entschuldigte mich unu n terbrochen und arbeitete mich so vor, bis ich dem Führer me i ne Karte in die Hand drücken und ins Innere laufen konnte. Vor mir lag der Gang zur offenen Arena – verlassen –, zu be i den Seiten zweigten die beiden großen Arkaden ab.
In der rechten Arkade sah ich eine ganz in Rot gekleidete Familie, ein blondes Mädchen, das ich zuerst für die Frau hielt und dann die Krümmung der Mauer. Ich sah nach links. Direkt vor der Mauerkrümmung, hinter zwei jungen Männern, die an der Wand lehnten, als wollten sie einen Steinquader wegschi e ben, sah ich die gelbe Jacke um die Biegung verschwinden. Ich lief wieder los un d s pürte, wie das Seitenstechen mit dre i facher Heftigkeit zurückkam. Ich stöhnte, lief aber weiter und hielt meine Seite. Staub flog in Wolken von meinen Füßen empor. Einer der jungen Männer rief »He! « als ich vorbe i stürmte.
Ich bog um die Ecke, wo ich die gelbe Jacke hatte ve r schwinden sehen. Auf der anderen Seite des Ganges war alles kalt und ruhig. Ich befand mich in einer anderen, kürzeren A r kade, die parallel zur größeren verlief, welche die Arena ganz umrundete. In dem kleineren Gang herrschte eine tote, echol o se Atmosphäre. Der Staub auf dem Boden schien Jahrtausende alt zu sein. Ich versuchte mich zu erinnern, was die Frau über die Arena gesagt hatte: etwas von einer Komödie. Dann hörte ich am Ende des Ganges zu meiner Rechten hastige Schritte. Ich hastete durch den Staub zum anderen Ende und sah das Paar erneut, wie es eine Kammer betrat. Sie schienen es nicht mehr eilig zu haben, sondern gingen ganz normal, fast schle n dernd, wie sie es getan hatten, als sie an unserem Tisch auf dem Boulevard vorbeigekommen waren. Mein Herz machte einen Sprung, als ich ihre Sorglosigkeit erkannte. Ich zählte die Eingänge bis zu der betreffenden Kammer, damit ich nicht vergaß, in welche sie gegangen waren.
Ich stapfte hinter ihnen her.
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