Strawberry Summer
Weile nur zu fünft frühstücken«, hörte Rory Bianca zu Erica sagen.
»Warum?«, fragte Rory.
»Weil Connor in New York ist«, sagte Bianca mit hochgezogener Augenbraue. »Brauchst du noch mehr Informationen?«
Sie wandte sich wieder dem Silber zu und versuchte, den giftigen Dampf des Poliermittels nicht einzuatmen. New York. Für den Rest des Tages konnte sie an nichts anderes mehr denken. Sie stellte sich tausend wunderschöne Mädchen vor, die in Sommerkleidchen und Sandalen elegant die Park Avenue – oder wo immer die Rules wohnten –, hinauf und hinunter spazierten und Connor dabei anflirteten.
Je wärmer es wurde, desto schlechter wurde Rorys Laune. Eine Hitzewelle breitete sich aus und die Temperaturen kletterten während des Tages auf fast vierzig Grad und machten die Nachmittage fast unerträglich. Rory saß Tag für Tag in der Nachmittagssonne auf dem Highway, drückte kraftlos den Knopf für die Klimaanlage und versuchte, den Prius irgendwie kühl zu halten, während sie nach Southampton oder Sag Harbor fuhr. Spätnachmittags sah sie sehnsüchtig zum Pool der Rules hin, am liebsten wäre sie einfach hineingesprungen, doch sie traute sich nicht. Stattdessen nahm sie Trixie mit zum Strand und ging bis zur Taille ins Wasser, dann sank sie bis zu den Schultern unter die Oberfläche. Es war der perfekte Platz, um den Fleck am Strand zu beobachten, an dem sie sich das Feuerwerk angesehen hatten. Oh mein Gott, jetzt komm schon drüber hinweg schalt sie sich selbst, gerade als eine Welle über ihrem Kopf zerschellte.
Mrs Rule sah sie jeden Tag, und es war ihr praktisch unmöglich, ihr in die Augen zu sehen. Langsam merkte auch Fee, dass etwas nicht stimmte.
»Alles okay?«, fragte sie Rory, sobald Mrs Rule den Raum verlassen hatte. »Bist du auf dem falschen Fuß aufgestanden?«
»Oh, mir geht’s gut«, sagte Rory jedes Mal. »Es ist nichts. Bin nur ein bisschen müde.«
Fee war offensichtlich nicht überzeugt, aber sie schien zu ahnen, dass Rory nicht mehr sagen wollte.
Glücklicherweise hatte Bianca nichts davon mitbe kommen, was im Georgica passiert war. Sie kommentierte weiterhin ungehemmt Rorys Kleidung, ihre Schuhe und ihre Frisur, aber sie machte keine Bemerkung über Rorys angebliche Unverschämtheit. Es war eine kleine Gnade, dass Mrs Rule Bianca nichts über Rorys Ausflug ins Georgica erzählt hatte.
Seit Mike weg war, sah Rory Isabel immer weniger, da sie sich nachts nicht mehr durch ihr Zimmer schlich. Isabel schien mehr und mehr Zeit in ihrem Zimmer zu verbringen, wo sie las und Musik hörte, die Rory durch die Decke hörte. Die Musik hatte jetzt eindeutig einen Hang zum Classic-Rock der Sechziger und Siebziger: Beach Boys, Pink Floyd, Van Morrison, Led Zeppelin. Und Bob Marley. Musik, die Mike mochte, nahm Rory an. Eines Abends hörte sie »Waiting in Vain« so oft, dass Rory fast zu ihr gegangen wäre und ihr gesagt hätte, sie solle die Musik leiser machen.
Dennoch ließ sie Isabel in Ruhe. Sie hatte anderes im Kopf, z.B. die Standpauke von Mrs Rule. Was immer geschehen mochte, Rory würde alles daran setzen, dass ihr so etwas nicht noch einmal passierte.
Am Tag vor Mr Rules Party lud Rory gerade die Einkäufe aus dem Auto, als Isabel zu ihr in die Einfahrt kam und sagte: »Du musst dir das ansehen.«
»Bitte?«, sagte Rory, während sie eine Zitrone zurück in die Tüte legte, die durch den Kofferraum gekullert war.
»Jetzt sofort. Gib schon her.« Isabel nahm eine der Einkaufstüten und trug sie zur Rückseite des Hauses. Rory folgte ihr. Das musste etwas ganz Wichtiges sein, wenn Isabel ihr dafür mit der Hausarbeit half.
Nachdem sie die Tüten in der Küche abgeladen hatten, gingen sie durch das Esszimmer in das Büro von Isabels Vater. »Was willst du hier?«, fragte Rory.
»Ich sehe mir Fotos an. Ich versuche, mich an dieses Kleid zu erinnern, dass ich in der siebten Klasse getragen habe. Und schau mal, was ich dabei gefunden habe.« Sie zeigte auf einen Stapel verstaubter Fotoalben aus Leder, der auf dem Schreibtisch ihres Vaters lag. Sie öffnete das oberste. »Da sind meine Eltern zusammen mit den Knox. Das Ehepaar, das gerade wieder hierher gezogen ist.« Sie senkte ihre Stimme. »Der Typ, den ich neulich mit meiner Mutter gesehen habe.«
Sie gab Rory das schwere Album. Die Fotos zeigten zwei Pärchen, die in einem Straßencafé in Paris saßen. Und auf einem Kreuzfahrtschiff. Und in einem Hafen mit einer altertümlich wirkenden Stadt, die in die felsigen Hügel
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