Street Art Love (German Edition)
lange. Wenn ich in der Schule bin, macht mich sein Verhalten verrückt, und ich hasse ihn fast. Aber hier auf dem Bett in meinem Zimmer und auf meiner Zeichnung mag ich sein Lächeln, seine Haltung. Er wirkt fast schüchtern, ganz anders als in der Schule. Ich bin mir nur nicht sicher, ob meine Zeichnung den echten Charly getroffen hat oder das Bild, das ich mir gerne von ihm machen würde.
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»EINE EXKURSION AM SONNTAG?«, fragt mein Vater verwundert.
Es ist Samstag, und wir sitzen auf der Terrasse beim Frühstück, denn es ist ein warmer Spätsommertag.
»Es ist die Kunst- AG «, erklärt meine Mutter. »Frau Kruger ist sehr engagiert. Ich finde das schön.«
»Kommst du nicht zu meinem Spiel?«, fragt Max, der jedes Wochenende irgendwo ein Fußballspiel hat.
»Nächstes Mal wieder.«
»Und zum Training?«
»Nein, ich muss mich auf eine Exkursion vorbereiten. Jeder soll ein kleines Referat machen und über ein Bild sprechen.«
»Welches hast du denn ausgewählt?«, fragt mein Vater und vertreibt eine Wespe vom Honig.
»Ein Selbstporträt von Max Beckmann.«
Meine Mutter runzelt die Stirn. »Schon wieder so ein düsteres Bild?«
Mein Vater holt sein iPhone heraus.
»iPhone-Verbot am Tisch!«, erinnert ihn meine Mutter.
»Ich kann einen Katalog holen?«, schlage ich vor.
»Okay!«, sagt meine Mutter und deutet auf das iPhone. »Dann schaut halt nach.«
Das lässt sich mein Vater nicht zweimal sagen und starrt wie gebannt auf das Display. Ich schätze, er ist hundert Prozent iPhone-abhängig.
»Wow!« Er hält das Handy hoch. »Die sind wirklich düster. Beckmann soll ja auch ein ziemlich depressiver Mensch gewesen sein.«
Ich sehe mir das Selbstporträt von Max Beckmann an. Er malt figürlich und stark farbig, umrahmt aber alle Gegenstände mit dicken schwarzen Linien. Doch eigentlich gefällt mir das.
»Weil er so viel Schwarz verwendet?«, frage ich meinen Vater.
»Genau.«
Meine Mutter nimmt meinem Vater das iPhone ab, vergrößert das Bild und betrachtet es genau. »Das sehe ich anders«, sagt sie entschieden. »Ich finde, durch das Schwarz fangen die Farben erst richtig an zu leuchten.«
Am Morgen der Exkursion bin ich aufgeregt. Wegen des Referats, aber auch weil Charly mitkommt. Meine Gefühle ihm gegenüber schwanken. Eigentlich will ich ihn hassen, ich finde genug Gründe dafür. Aber wenn ich abends allein in meinem Zimmer bin und an ihn denke, dann sehe ich ein anderes Bild. Einen schüchtern lächelnden Jungen, jemand, der mich mag oder zumindest mögen könnte. Es ist verrückt, aber wir haben einiges gemeinsam. Zum Beispiel die Art, wie wir Bilder ansehen. Er will über die Künstlergruppe
Cobra
ein Referat halten. Ich habe
Cobra
schon gegoogelt. Die Künstler der Gruppe wollten, dass ihre Bilder spontan entstehen, ohne große Technik. Ihre Bilder sehen zum Teil wie große krakelige Kinderzeichnungen aus. Typisch. Charly hat sich auch in der Kunst- AG schon mit Frau Kruger gestritten, und wie ich geahnt habe, ist es mit der Ruhe vorbei, seit Charly da ist. Noch bin ich mir nicht sicher, ob ich das gut oder schlecht finde, zumindest bringt es Abwechslung in die Stunden.
Ich packe die Karteikarten für mein Referat ein. Und bin etwas unsicher. Meine Aufzeichnungen über Max Beckmann kommen mir auf einmal brav und langweilig vor, und bestimmt sind sie zu lang.
Die Neue Nationalgalerie ist ein flacher Bau aus Stahl, der rundherum verglast ist. Als ich am Treffpunkt vor dem Eingang ankomme, sind nur Steffen und Frau Kruger da. Wir begrüßen uns.
»Worüber hältst du dein Referat?«, frage ich Steffen.
Er wird rot. »Picasso.«
»Warum eigentlich Picasso?«, frage ich höflich, um das Gespräch in Gang zu halten. Und vielleicht auch, weil ich testen will, ob er mich auch außerhalb der Kunst- AG so seltsam behandelt.
»Na ja«, sagt Steffen langsam. »Picasso war einfach ein Genie!«
»Und ein Frauenheld!«, sagt Frau Kruger, und Steffen wird rot. Steffen ist bestimmt kein Frauenheld. Eher Charly. Ärgerlich schiebe ich den Gedanken beiseite. Wieso denke ich schon wieder an ihn, obwohl er noch gar nicht da ist?!
Zum Glück kommen die anderen kurz darauf.
»Alle da?«, fragt Frau Kruger und zählt durch.
»Charly fehlt!«, ruft eines der Mädchen.
Es ist schon zehn Minuten nach elf. Ich spüre, wie ich sauer werde. Immer muss Charly im Mittelpunkt stehen. Wir warten noch fünf Minuten, und schließlich kommt er ganz entspannt auf uns zugeschlendert.
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