Street Art Love (German Edition)
aber ich zittere nicht. Im Gegenteil, mir ist heiß vor Aufregung und Anspannung. Ich lege mein Skizzenbuch auf den Boden. Die einzelnen Teile auf der Rückseite habe ich beschriftet:
oben links, Mitte rechts
und so weiter. Maja trägt die Stirnlampe. Die Beschriftungen verschwimmen unter dem Kleister. Verdammt, daran habe ich nicht gedacht.
Ich steige auf die Leiter, und Maja reicht mir den ersten Papierlappen an, er ist schwer. Ich steige weit nach oben, denn ich will, dass man das Bild vom Eingang aus gut sehen kann.
Ich verschiebe die Leiter, und Maja reicht mir den nächsten Teil des Bildes hoch. Ihre Zähne klappern. Ich hänge den zweiten Teil auf, dann steige ich von der Leiter, ziehe die dicke Jacke von Charly aus und reiche sie ihr.
»Mir ist sowieso warm.«
Maja nickt dankbar, sie ist viel zu dünn angezogen.
Die anderen Teile sind leichter anzubringen, und zum Schluss hält Maja mir die Leiter, und ich kann mich weit über die Wand strecken und alle Papierteile noch einmal auf der Wand glatt streichen. Ich schwitze und schiebe die Kapuze zurück, damit ich nach rechts und links gut sehen kann.
»Setz die Kapuze auf!«, sagt Maja besorgt. Sie zittert immer noch.
Gemeinsam heben wir die Leiter von der Wand, schieben sie zusammen und verstecken sie zwischen den Sträuchern am Rande des Schulgeländes. Die können wir später holen, denn es ist schon fünf Uhr und ich möchte mit der Leiter auf dem Rückweg keinem Jogger begegnen. Das wäre dann doch etwas zu auffällig. Ich packe die Pinsel ein und verschließe die Dose mit dem Tapetenkleister.
»Komm, jetzt sehen wir es uns an«, sagt Maja und zieht mich etwas zurück von der Wand. Ich sehe das Bild zum ersten Mal mit Abstand. Und finde, es ist gelungen. Ein Sprayer, der den Arm erhoben hat und sein Tag auf die Wand sprayt.
»Was sprayt er da eigentlich?«
»Irgendwas«, sage ich und bin froh, dass Maja es nicht erkennt. Ich habe das Foto von Charly aus der Ausstellung verwendet und sein Tag ziemlich gut kopiert, aber niemand außer Charly soll es erkennen. Diese Nachricht ist nur für ihn bestimmt.
Wir packen unsere Rucksäcke und huschen am Rand des Grundstücks zurück zu der Stelle, wo wir das Gelände betreten haben. Wir steigen über den Zaun und machen ein paar Schritte. Dann nehmen wir unsere Kapuzen ab und tun so, als ob wir von einer Party kommen. Ich fühle mich wie James Bond.
[zurück]
AM SONNTAG schlafen Maja und ich sehr lange. Niemanden wundert das. Um halb drei klopft meine Mutter an und fragt, ob wir auch eine Waffel wollen; und das wird unser Frühstück, das wir auf meinem Bett einnehmen.
»Meinst du, jemand hat es schon entdeckt?«, fragt Maja.
»Am Sonntag ist niemand in der Schule. Noch nicht mal die Lehrer.«
»Mann, ich bin so gespannt auf Montag!«
Jetzt, wo wir alles hinter uns haben, ist Maja genauso stolz auf die Aktion wie ich. In der Schule gelten wir nicht gerade als Draufgänger, und auch wenn es niemand weiß, sind wir irgendwie stolz auf uns.
»Es geht doch wieder ab? Ich meine, wir haben doch nichts kaputt gemacht?«, fragt Maja trotzdem.
Ich erzähle ihr besser nicht von der Abänderung des Paragrafen, nach dem unsere Street Art-Aktion als Sachbeschädigung gilt.
»Na klar, es ist doch nur Tapetenkleister. Das kann man ganz einfach wieder von der Wand lösen.«
Maja atmet erleichtert auf.
Am Spätnachmittag muss sie gehen. Wir haben sogar noch etwas Mathe und Chemie gemacht, obwohl nicht ich Maja, sondern sie mir geholfen hat, da ich in der Woche ziemlich viel Stoff verpasst habe.
Ihre Mutter holt sie ab.
»Wir treffen uns morgen vor der Schule, okay?«, sage ich leise, und Maja nickt verschwörerisch.
»Gut, dass du die Woche zu Hause geblieben bist!«, sagt meine Mutter beim Abendessen. »Du siehst viel gesünder aus.«
»Wie bist du mit deinem Kunstprojekt vorangekommen?«, fragt mein Vater. Ich hatte meinen Eltern erzählt, dass ich in der Woche hauptsächlich an einer Kunstarbeit für die Schule gearbeitet habe. Was ja nicht gelogen ist.
»Sehr gut. Und Maja hat mir alles gezeigt, was ich in der letzten Woche verpasst habe.«
Mein Vater lächelt meine Mutter an. Ich kenne diesen Blick, mit dem sie sich gegenseitig sagen, dass sie alles richtig gemacht haben und ihre Tochter einfach wunderbar ist. Na ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht denken würden, wenn sie wüssten, was ich getan habe.
Montag ist seit Millionen von Jahren einer der schrecklichsten Schultage
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