Street Art Love (German Edition)
Fensterbrett und schaue in den Garten. Irina spielt mit Max Fußball, obwohl der Boden steinhart gefroren ist und sie wenig Talent dazu hat. Max kreischt und schießt begeistert ein Tor nach dem anderen. Etwas später steigt der Geruch von Pfannkuchen zu mir nach oben.
Ich habe mich selten so überflüssig gefühlt. Ich krieche wieder ins Bett und bade in Selbstmitleid. Niemand vermisst mich, niemand liebt mich, allen bin ich egal, und wenn ich krank bin, kann man mich einfach gegen das nächstbeste Mädchen austauschen, kein Problem. Was kann ich überhaupt?
Ich hole mein iPhone und stelle auf zufällige Widergabe. Mumfort & Sons. Na super . Ich sehe Charlys Atelier vor mir, meine ersten Sprayversuche, mein Magen zieht sich zusammen. Wie soll ich das alles vergessen? Wenn es mir sonst schlecht ging, habe ich gezeichnet. Aber jetzt? Wenn ich zeichne, denke ich sofort an Charly. Ich schließe die Augen und versuche meine Gedanken abzustellen, ganz leer zu werden.
Und dann kommt sie mir. Ich richte mich kerzengerade auf. Die Idee. Ich lasse sie mir ein wenig durch den Kopf gehen. Nicht dass es noch mal so eine Schnapsidee ist wie die, schon früher wieder zur Schule zu gehen. Doch sie ist gut. Sehr gut sogar. Ich springe aus dem Bett und wühle nach meinem Skizzenbuch. Dann skippe ich durch die Fotos auf meinem iPhone. Und finde, was ich suche.
Ich zeichne schnell und grinse vor mich hin. Wenn das funktioniert … Auf einmal fühle ich mich stark und gesund. Ich bin eine Kämpferin. Genau.
Ich gehe in den Keller und suche nach der großen Packpapierrolle, die dort immer steht. Perfekt. Bei den Farbresten, die meine Eltern zum Ausbessern aufbewahrt haben, finde ich weiße Abtönfarbe und schwarze Lackfarbe, mehr brauche ich nicht.
Ich arbeite den ganzen Nachmittag an der Skizze. Es ist meine Art zu zeichnen, aber es ist auch etwas Neues, ein eigener Stil. Als ich meine Eltern zurückkommen höre, packe ich alles unter mein Bett.
Beim Abendbrot erzählt Max von Irina. Irina hier, Irina da. Sie hat mit ihm Fußball gespielt, sie hat ihm Blinis gebacken. Meine Mutter strahlt zufrieden. Ich bin ein bisschen verletzt, bis mir einfällt, wie gut es ist, dass Irina da ist. Sonst hätte ich keine Zeit gehabt, mir meinen Plan auszudenken, und erst recht keine gehabt, ihn in die Tat umzusetzen. Wobei mir einfällt, dass ich Hilfe brauche. Maja!
Ich bleibe auch den nächsten Tag zu Hause – wie gut, dass mein Attest noch gilt, ich brauche die Zeit für meine Arbeit. Meine Skizze ist fertig, ich bin sehr zufrieden. Und ich bin mir sicher, sie funktioniert auch größer. Ich male ein Raster über die Skizze, so, wie es jeder Pflastermaler macht, wenn er ein kleines Bild vergrößern will. Dann schneide ich sechs große Packpapierteile zu, die zusammen das Bild ergeben werden, lege sie zusammen, übertrage das Raster darauf und fange an, die Kästchen auszufüllen. Es ist viel mehr Arbeit, als ich dachte. Zudem riecht es in meinem Zimmer nach schwarzer Ölfarbe, also lüfte ich und beschließe, meine restlichen Besorgungen zu machen.
Am Nachmittag kommt Maja. Maja ist nicht nur meine beste Freundin, sondern auch der beste Kumpel, den man sich wünschen kann.
»Ich werde Charly zeigen, dass er nicht so mit mir umspringen kann.«
»Ach ja?«, sagt Maja skeptisch.
»Der redet doch immer nur vom Sprayen, aber wer weiß, ob er das auch wirklich macht.«
»Ich dachte, du weißt das«, sagt Maja. »Hast du nicht gesagt, er küsst so gut, wie er sprayt?«
Ich wische ihre Bemerkung zur Seite. Maja ist nett, Maja ist Orange. Aber ich bin gerade Strahlendweiß, und ich sehe diese brillante Aktion vor mir, mit der ich Charly zeigen werde, was ich kann. Die ihn einfach umwerfen wird und seine ganze dämliche Angeberei beenden wird.
»Was hast du vor?«, flüstert Maja leicht besorgt.
»Ich mache Street Art. An der Wand.«
»An welcher Wand?«, fragt Maja, obwohl sie weiß, welche Wand ich meine.
»Die, von der er immer spricht. Die Wand an der Turnhalle.«
So, nun ist es heraus. Maja schweigt. Denkt nach.
»Äh …, wie willst du das denn alleine schaffen?«
»Wer sagt, dass ich das alleine schaffen muss?«
Maja windet sich. »Äh …, Sophie, ich würde dir ja gerne helfen, aber meine Mutter macht gerade den totalen Ärger. Sie will mich sogar von der Schule nehmen, wenn meine Noten nicht besser werden. Ich kann da nicht mitmachen.«
»Was haben denn deine Noten mit dieser Sache zu tun?«
»Na, die werfen
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