Streifzüge durch das Abendland - Europa für Anfänger und Fortgeschrittene
sich e i n Nobe l lad e n an den anderen, aber ein anständ i ges C a fe gab es a uch hier nicht. Ich entdeckte led i gli c h ein paar Stehc a fes, in den e n die L e ute ein e n Espresso bestellt e n, ihn hinunterspült e n und i m nä c hst e n Aug e nbli c k w ieder davone i lten. D a s w ar es ni c ht, w o na c h ich su c hte.
Nach Süditali e n k a m mir M ailand überhaupt ni c ht itali e nisch vor. Die L e ute g i ng e n z üg i g und ents c hlossen i hrer Wege, und an ihr e n A r men s c haukelt e n E ink a ufs t asch e n von Gucci oder Ferrag a m o. Sie saßen ni c ht müß i g vor ein e m Espresso, schaufe l ten k e ine Berge von P asta in si c h h i nein und stritten si c h ni c ht leid e ns c h a ft l ich über irgen d w el c he Belanglos i gkeiten. Sta t t dess e n hi el ten sie ges c häftli c he Besprechungen ab. Sie unterzei c hneten Verträge. Sie sprachen i n Autotelef o ne. Sie fuhren mit maßvoll e m Te mpo durch die Straßen, m e i st e ns i m B M W oder P orsche, und parkt e n in Reih und Glied. Und alle s a hen sie aus, als w ären sie den T itelseiten v o n Vogue oder GQ entsprung e n. Mailand w ar w ie ein it a lien i scher Vorposten von S üdka l iforni e n. Ich w eiß ni c ht, w ie S ie das seh e n, aber ich finde S üdk a lifo r nien schon in S üdkal i forni e n schwer genug zu ertragen. Di e s w ar Italien. Ich w ollte Chaos und Leb e n auf den Straßen, Männer, die in Unt e rh e m d e n auf den T r e ppen d e r Häuser saßen, L e in e n voller Wäsche über eng e n G a ss e n, Ornella Muti und Giancarlo Giann i ni, die auf einer Vespa vorbeisausten. Und vor all e m w ollte i c h e i ne T asse Kaffee.
Am nä c hsten T ag besu c hte i c h die Brera-Galerie. Sie liegt verste c kt in einer Se i tenstraße, in ein e m von Bauge r üst e n umgeben e n P alazzo. Hier hatte man o ffenbar G r oßes vor. Die Luft w ar erfüllt von Gipsst a ub; es w urde geh ä mmert, geklo p ft und gebohrt. D i e Galerie schi e n nur zur H ä lfte g e öffnet z u s e in. Mehrere Räume w ar e n abgesperrt, und selbst in den geöffn e ten R ä umen zeigt e n dunkle Rechte c ke a uf der T apete, d a ß hier einmal Bilder g e h a ng e n h a tten, die nun ve r liehen w orden waren oder gerade restauriert w urden. Doch w a s von der Ausstel l ung übr i ggeblieb e n w ar, w ar nicht nur eindru c ksvoll, s o ndern a u c h vertraut - M a ntegn a s persp e ktivis c he Darstellung des Leichn a ms Christi, e ine Madonna v o n Bel l ini, z w ei erst kürz l ich und str a hl e nd restaurierte C a nale t tos und P iero del la Francesc a s großartiges, aber doch sehr bizarres » M adonna m i t d e m Jesuskind, E nge l n, He i l i gen und Federico da Montefe l tr o « - nochmal unser alter Freund, der Herzog von Urbino.
Dieses Bild habe i c h übe r haupt nicht verst a nden. W e nn e s nach d e m T ode des Herzogs g e m a lt w o r den ist und w ir ihn hier i m H i mmel vor uns seh e n, w arum hat Fr a ncesca Jesus dann als S ä ugling dargestellt? Oder w ollte er uns gl a uben mach e n, der Herzog hä t te es irgen d w ie ges c hafft, d urch die Jahrhunderte zu f l ieg e n, um bei Chr i s t i Geburt dabei zu sein? Was immer es auch bedeuten m a g, das Gemälde ist auf j eden Fa l l e i n b e m erkens w ert e s K uns t w erk. E i n Besucher m o c hte es so sehr, daß er sich v o n zu Hause ein e n Klapps t uhl mi t gebracht h a tte und nun m i t verschr ä nkten A r men davor saß, um es still z u betracht e n. Das Beste an der Galerie i m Brera w a r, daß sie fast mens c henleer w ar. Unter den w enig e n Einhe i mis c h e n w ar ich der einzige ausländ i sche T ourist. Na c h Florenz g e noß ich es in vollen Zügen, mir die G e mälde an z us e hen, o hne vor j ed e m einze l nen j e m a nden bitt e n zu müss e n, mich ho c hzuheben.
Danach dur c hquerte i c h d ie g a nze I nn e nstadt, um mir i m Ref e ktorium der Kirche S anta Maria delle Grazie Leonardos »Aben d mah l « a nzuseh e n. Hat m a n den stolz e n Eintrittspreis entrichtet, tritt m a n i n ein e n leeren, schummr i g e n Saal und st e ht plötzlich davor - vor dem berühmt e st e n aller Fresk e n. Es bedeckt die ges a mte h i ntere Wand. E i n G eländer hält den Besucher e t w a sieben Meter auf D i st a nz, w as i c h zi e mlich unfair f a nd, denn d i e Farben sind so blaß, d a ß m an sel b st aus z w ei Metern En t fernung kaum e t w a s erk e nnt. Aus si e ben M e tern si e ht m a n so gut w ie gar nichts. E s ist w ie e i n Ge i sterbild.
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