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Streifzüge durch das Abendland - Europa für Anfänger und Fortgeschrittene

Streifzüge durch das Abendland - Europa für Anfänger und Fortgeschrittene

Titel: Streifzüge durch das Abendland - Europa für Anfänger und Fortgeschrittene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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e nt l ich die A ugen, um fest z ustell e n, an w el c h e m v e rschl a fen e n Bahnhof der Zug gerade hielt, oder um d e m S c h a ffner seine F a hrkarte z u zeig e n. Die m eist e n L e ute w irkten ä r mli c h und w ar e n unr a siert (selbst ein i ge Frauen), w a s i m krass e n G e gensatz zur w el t g e w a ndten El e ganz Roms stand. Ich m u t m aßte, daß im Zug übe r w ieg e nd Neapolit a ner saßen, die i n R o m arbeiteten und nun nach Hause z u ihr e n F a mili e n fuhr e n.
    Ich betrachtete die Lan d s c haft - e ine von bla ß grün e n Bergen umgebene Ebene mit vere i nzelten leblos e n Dö r fern, die ebenfa l ls von unfertig e n H ä usern d u r chsetzt w aren - und frönte m e i n e n Ornell a -Muti- P hant a si e n. Es w ar w a r m i m Zug, kein Lüft c hen r e gte sich, so daß au c h i c h bald einnickte. Doch sch o n nach w e n i g e n Minuten w urde i c h d urch e i n herzzerreißendes Wehklag e n a ufg e schreckt. Eine überg e w ic ht i ge Z i geunerin zog m i t ihr e m schmutz i gen Baby durch alle Wagen, t r ug lautsta r k i hre unglückliche Lebensg e schichte vor und bat um Geld, aber ni e m a nd gab i hr e t w as. Schließli c h s c hob sie mir d a s Baby unter die Nase. Sein kle i nes, schokolad e nbraun besabbertes Gesicht w ar so ungl a u b lich häßlich, daß ich um e i n Haar » Ai i hh ! « ges c hrien und s c hützend me i ne A r me vors Gesi c ht geh a lten hätte. U m ni c ht v o n d e m klebrig e n, braunen T ropfen bekleckert z u w erden, der sich v o n Juniors Unt e rlippe zu lösen drohte, zog ich, so schnell ich konnte, tausend Lire aus der T asche und gab sie der Frau. Mit der Gleichgült i gk e it ein e s Schaffners, der eine Fah r karte k o ntrolliert, nahm sie das Geld ohne e i n Wort des Dankes und setzte la m entierend i hren W e g durch den Zug fort. Der Rest der Reise verli e f ohne Vork o mmnisse.
    Kaum w ar i c h in Neapel aus d e m Zug gesti e g e n, w urde ich von siebenund z w a nz i g T axif a hre r n i n E mpf a ng gen o mmen. Al l e w ol l ten sie mich an e i nen hübs c hen und höchs t w ah r sche i n l ich w e i t en t fernt e n Ort bringen, doch ich w i nkte ab und begab mi c h z u F uß v o m ve r w a hrlosten Hauptb a hnh o f z um bena c hbarten und ebenfal l s ve r w ahrlost e n Circumvesuvi a na Bahnh o f. A uf d e m W e g dorthin bot sich mir ein einzig e s Bild der V e r w ahrlosung. D e n ges a mt e n Gehst e ig en t lang saßen Leute an w a c kl i gen T isch e n und verkauft e n Z i garetten oder billig e n K ri m skr a ms. Alle e ntl a ng der Straße geparkt e n Autos w aren s c hmutzig und verbeult. A lle Gesch ä fte w i r kt e n finster und st a ub i g, und die Auslag e n i n i hren Fenstern w ar e n ausgebli c h e n und m a nch m a l in der s e ngend e n Sonne bis zur Unkenntli c hkeit verblaßt. Ich w ollte e i gen t lich e i n oder z w e i T age in Neapel bleiben, um d a nn n a ch Sorrent und Capri w eite r zuf a hren, doch w a s i c h hier sah, w ar so abstoßend, daß ich besch l oß, m i c h glei c h w ieder auf den Weg z u m a c h e n und Neapel erst dann e i n e n Besuch abzustatt e n, w e nn i c h mi c h der Stadt g e w achsen fühlte.
    Ich st a nd m it der F a hrkarte in der Hand auf d e m B a hnsteig des Circumvesuviana und m e r kte, daß die Rush H o ur al l mäh l i c h beg a nn. Der Zug w ar vollg e stopft mit sch w i tzenden Mensch e n und obendrein langs a m. Ich saß z w is c h e n z w ei fett e n Frau e n, die si c h die ganze Zeit über m e i nen Kopf h i nweg unterhielten, so daß ich w eder in me i n e m Buch l e sen, no c h mi c h mein e n O r nell a - M ut i - P hant a si e n w i d men konnte. Dennoch s c hätzte ich mich glü c kli c h, überhaupt einen S i tzplatz erga t tert z u h a ben, w enn er au c h nur fünfzehn Zen t imeter breit w ar. Dafür saß es si c h herrli c h w ei c h so e i ngepfercht z w i sch e n d e m sc h w abbelnden F leis c h der beiden Frauen. F a st w ä hrend der g a nzen F a hrt r uhte me i n Kopf auf der Schulter der einen oder anderen, und i c h blickte voller B e w underung zu ihr e n Gesichtern auf, w a s sie nicht i m ger i ngst e n zu stören s c hi e n.
    Wir ließen die Slu m s von N eapel h i nter uns, d a nn die Sl ums der Vorstädte und fuhren dann durch den ve r w a hrlost e n L a ndstrich z w i sch e n d e m Vesuv und d e m Meer und hielt e n a l le paar hundert Meter an irg e ndein e m vorst ä dtisch e n Bahnh o f, an d e m 1 00 Leute aus- und 120 Leute e i nstiegen.

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