Streng vertraulich
Drehung des Schlüssels sprang er mit dem Brüllen einer Wildkatze an. Ich holte eine Baseballkappe unter dem Sitz hervor, zog meine Jacke aus, rückte die Sonnenbrille zurecht und fuhr aus der Garage.
Angie parkte immer noch in zweiter Reihe vor dem Plaza, was bedeutete, daß Blaumütze noch da war. Ich winkte ihr zu und fuhr auf die Cambridge Street in Richtung Fluß. Als ich den Storrow Drive erreichte, war sie noch immer hinter mir, aber als ich an der I-93 ankam, hatte ich sie in einer Staubwolke zurückgelassen, denn das konnte ich. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur unreif. Eins von beiden.
8_____
Die Strecke nach Wickham ist nicht gerade lustig. Alle vier, fünf Kilometer muß man die Autobahn wechseln, und biegt man nur einmal falsch ab, landet man in New Hampshire und muß dort im tiefsten Osten Hinterwäldler, die nicht unsere Sprache sprechen, nach dem Weg fragen. Zu allem Überfluß gibt es, außer dem ein oder anderen Industriegebiet und dem Merrimack River, wenn man sich dem Städtegürtel entlang des Flusses nähert, nichts zu sehen. Keine schöne Aussicht. Meistens sieht man auf Abwasserfangrechen hinunter, durch die das braune Wasser träge fließt - eine Nebenerscheinung der Textilindustrie, die für große Teile von New Hampshire und Massachusetts grundlegend ist. Das nächste, was einem in dieser Gegend ins Auge fällt, sind die Fabrikanlagen selbst, und der Himmel verwandelt sich in Ruß.
Aus meinen Lautsprechern dröhnte die ganze Zeit Exile on Main St., deshalb machte mir die Umgebung nicht soviel aus, und als ich die Merrimack Avenue gefunden hatte, machte mir nur noch eine Sache Kopfzerbrechen: mein Auto unbewacht stehenzulassen.
Wickham ist keine Gemeinde, mit der es aufwärts geht. Die Stadt ist so muffig und grau, wie es nur eine Fabrikstadt sein kann. Die Straßen haben die Farbe von Schuhsohlen, und der einzige Unterschied zwischen Kneipen und normalen Häusern besteht darin, daß letztere keine Neonschilder in den Fenstern haben. Die Straßen und Bürgersteige sind holprig, der Asphalt aufgeplatzt und verblichen. Viele Leute, besonders die Arbeiter, die in der Dämmerung von den Fabriken nach Hause trotten, haben einen Gesichtsausdruck, als hätten sie sich schon längst an die Tatsache gewöhnt, daß niemand an sie denkt. Wickham ist ein Ort, wo die Menschen dankbar sind für die Jahreszeiten, weil die das einzige sind, an denen sie ablesen können, daß die Zeit vergeht.
Merrimack Avenue ist die Hauptstraße Wickhams. Simone Angelines Hausnummer lag weit hinter dem Stadtzentrum; die Kneipen, Tankstellen, Betriebe und Textilfabriken hatte ich schon acht Kilometer hinter mir gelassen, als ich den Häuserblock mit den Zwölfhunderter-Nummern erreichte. Da war Angie schon wieder im Rückspiegel zu sehen, und als ich in eine Seitenstraße einbog, um den Wagen dort abzustellen, fuhr sie an mir vorbei. Ich legte das Lenkradschloß an, schaltete das Radio aus und nahm es beim Aussteigen mit. Dann warf ich einen letzten Blick auf das Auto und hoffte, daß wir Jenna schnell finden würden. Sehr schnell.
Ich habe mein Auto nicht bei einem Kartenspiel gewonnen oder von einem wahnsinnig großzügigen Klienten vermacht bekommen. Ich habe mein Geld auf die Bank getragen und gewartet, mehr Geld auf die Bank getragen und weiter gewartet. Irgendwann wurde der Wagen in der Zeitung annonciert; da beantragte ich bei der Bank einen Kredit. Ich überstand die peinigende Befragung eines herablassenden Bankangestellten. Einer von diesen verbitterten Kotzbrocken, die jedem das Leben schwermachen, von dem sie glauben, er hätte sie schlecht behandelt, wenn sie mit ihm auf derselben High-School gewesen wären. Glücklicherweise bekam ich langsam mehr Aufträge und verdiente mehr Geld, so daß ich den Kredit bald abgetragen hatte. Doch noch heute zahle ich den Preis dafür, weil ich mir ständig um den einzigen Wertgegenstand Sorgen mache, der mir je etwas bedeutet hat.
Ich ließ mich neben Angie auf den Beifahrersitz fallen, und sie ergriff meine Hand. »Ganz ruhig, Baby, deinem Augapfel wird nichts geschehen. Versprochen.«
Manchmal ist sie zum Schießen komisch.
Ich sagte: »Na ja, wenigstens wird sich in dieser Gegend niemand über deine Kiste Gedanken machen.«
Sie entgegnete: »Guter Witz. Hast du schon mal daran gedacht, dein Geld als Kabarettist zu verdienen?«
So ging es weiter. Wir saßen im Auto, teilten uns eine Dose Pepsi und warteten.
Um sechs Uhr konnten wir uns kaum noch bewegen,
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