Streng vertraulich
ihr durch Wickham. Sie fuhr durch das Stadtzentrum und dann auf die I495. Ich war es satt, im Auto zu sitzen, und hoffte inbrünstig, daß sie Jenna nicht irgendwo in Kanada verstaut hatte. Glücklicherweise schien das nicht der Fall zu sein, da sie ein paar Kilometer später wieder von der Schnellstraße abbog und nach Lansington reinfuhr.
Falls das möglich ist, ist Lansington noch häßlicher als Wickham, aber man merkt es kaum. In vielerlei Hinsicht gleichen sich die beiden Städte. Lansington wirkt nur noch muffiger.
Wir warteten vor einer Ampel in der Nähe des Stadtzentrums, doch als sie auf Grün sprang, fuhr Simone nicht an. Zwei kalte Hände umklammerten mein Herz, und Angie sagte: »Scheiße. Hat sie uns bemerkt?«
Ich wies sie an: »Hup mal!«
Sie gehorchte, und Simone hob entschuldigend die Hände, als sie merkte, daß die Ampel umgesprungen war. Es war ihre erste unentschiedene Handlung, seit wir sie verfolgten, doch auf mich wirkte sie wie ein großes Ausrufezeichen: Wir waren nah dran.
Um uns herum befanden sich gedrungene, zweistöckige, schindelverkleidete Häuser aus dem späten 19. Jahrhundert. Es gab nur wenige Bäume, die knorrig und häßlich herumstanden. Die Ampeln waren noch von der alten Sorte; bunte, runde Lichter ohne »Walk/Don’t Walk«-Schriftzug oder Neonsymbole für die, die nicht lesen konnten. Die Ampeln klickten, wenn sie umsprangen, und als wir die zweispurige Straße entlangglitten, hatte ich das Gefühl, wir könnten uns jetzt genausogut auf dem Land in Georgia oder in West Virginia befinden.
Vor uns betätigte Simone den linken Blinker, und den Bruchteil einer Sekunde später verließ sie die Hauptstraße und fuhr auf einen kleinen, schmutzigen Parkplatz voller Pickups, einem Winnebago, ein paar verstaubten amerikanischen Sportwagen und El Caminos, diese erbärmliche Hinterlassenschaft schlechten Geschmacks aus Detroit. Zwei Fahrzeuge in einem: ein Auto, das sich nicht entscheiden konnte, ob es ein Lkw sein wollte; ein Lkw, der sich nicht entscheiden konnte, ob er ein Auto sein wollte - das Ergebnis ist ein obszöner Zwitter.
Angie fuhr eine halbe Meile weiter, dann drehten wir um und fuhren zurück. Der Parkplatz gehörte zu einer Bar. Wie in Wickham hätte man das aber nicht gemerkt, wenn nicht die kleinen Neonschilder mit dem Schriftzug »Miller High Life« in den Fenstern gehangen hätten. Es war ein niedriges zweistöckiges Gebäude, das ein bißchen länger als die meisten anderen Häuser war: Nach hinten erstreckte es sich ungefähr zehn Meter weit. Von drinnen hörte ich das Klappern von Gläsern, bruchstückhaftes Gelächter, Stimmengewirr und ein Lied von Bon Jovi aus der Jukebox. Den Gedanken verwarf ich sofort wieder; bestimmt kam die Musik aus einem Radio, in dem den ganzen Tag lang nur ein Sender lief, denn wer gab schon Geld dafür aus, Bon Jovi zu hören. Dann blickte ich wieder auf die Pickups und die Kneipe und war mir doch nicht so sicher.
Angie fragte: »Warten wir hier auch?«
»Nein. Wir gehen rein.«
»Super.« Sie sah sich das Gebäude an. »Gott sei Dank besitze ich die Lizenz für eine Feuerwaffe.« Sie prüfte, ob ihre .38 geladen war.
»Ganz schön direkt«, bemerkte ich und stieg aus dem Auto. »Wenn wir reinkommen, schießt du als erstes auf das Radio.«
Simone war nicht zu sehen, als wir reinkamen. Das war ziemlich einfach festzustellen, denn als wir durch die Tür traten, hielt jeder in seiner Bewegung inne. Ich trug Jeanshose, Jeanshemd und eine Baseballkappe. Mein Gesicht sah aus, als hätte ich eine Meinungsverschiedenheit mit einem Pitbull gehabt, und meine Jacke über der Pistole war so ein lumpiges, verblichenes Army-Teil. Ich paßte gut hier rein.
Angie trug eine dunkelblaue Footballjacke mit weißen Lederärmeln über einem weiten, weißen Baumwollshirt, das über ihre schwarzen Leggings hing.
Keine Frage, wen von uns beiden alle anglotzten. Ich sah Angie an. New Bedford ist nicht sehr weit von hier entfernt. Big Dan’s Bar ist in New Bedford. Dort hatte eine Gruppe von Männern ein Mädchen auf einen Pool-Tisch geworfen und sich einen kleinen Spaß auf ihre Kosten erlaubt, während die übrigen Gäste die Männer anfeuerten. Ich sah mir die Stammkunden an, Hinterwäldler aus dem tiefsten Osten wie aus einer Werbung für Heinz-Ketchup, weißer Abschaum, erst kürzlich aus der Dritten Welt immigrierte Fabrikarbeiter, Portugiesen, ein paar Schwarze - alle arm und feindselig und darauf versessen, etwas Dampf abzulassen. Kamen
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