Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
hätte sie mich nicht gehört, »jetzt suchen mich plötzlich alle, beauftragen so Leute wie Sie, wahrscheinlich noch viel schlimmere, und wollen Jenna finden, mit Jenna reden, wollen das haben, was Jenna hat. Jetzt brauchen plötzlich alle Jenna.« Sie kam schnell auf mich zu, die Zähne zusammengebissen, ihre Zigarette schwebte über mir wie ein Schlachtermesser. »Was ich habe, hat keiner, Mr. Kenzie. Verstehen Sie das? Keiner. Nur der, dem ich es gebe. Und das entscheide ich. Was ich haben will, das kriege ich auch. Jetzt nutze ich mal die Leute aus. Schicke mal jemand für mich zum Einkaufen. Jetzt können die Leute zur Abwechslung mal für mich arbeiten. Und wenn ich sie nicht mehr brauche, stelle ich sie wieder zur Seite wie Möbelstücke.« Sie fuchtelte mit der glühenden Zigarette vor meinen Augen herum. »Das entscheide ich. Jenna Angeline.« Sie nahm einen langen Zug von der Zigarette. »Und was ich habe, ist für Geld nicht zu kriegen.«
»Wofür dann?«
»Für Gerechtigkeit«, erwiderte sie und blies den Rauch aus. »Und zwar ‘ne Menge. Das wird einigen weh tun, Mr. Kenzie.«
Ihre Hand zitterte so stark, daß die Zigarette vibrierte wie ein Sprungbrett, von dem sich gerade jemand ins Wasser gestürzt hatte. Ich hörte die Furcht in ihrer Stimme heraus - ein zerrissener, leicht hohler Klang - und sah deren Spuren in Jennas Gesicht. Sie war ein Wrack. Ein rasendes Herz in einer Hülle aus Fleisch. Sie war verängstigt, müde und wütend und heulte die Welt an, doch anders als viele Menschen in einer solchen Situation war sie gefährlich, weil sie etwas besaß, das ihr ein wenig von dieser Welt zurückgeben konnte. Doch so funktionieren die Dinge meistens nicht; Menschen wie Jenna sind Zeitbomben. Sie gehen bei der Explosion selber drauf, reißen aber vielleicht ein paar andere mit sich.
Ich wollte nicht, daß Jenna etwas Schlimmes zustieß, aber noch sicherer war ich mir, daß ich nicht von einem Schrapnell getroffen werden wollte, wenn sie in die Luft ging. Ich erklärte ihr: »Jenna, mein Problem ist folgendes: Ich werde dafür bezahlt, Sie zu finden und dann den Klienten anzurufen; danach gehe ich wieder meiner Wege. Sobald ich den Anruf gemacht habe, bin ich raus. Der Klient geht dann meistens vor Gericht oder macht das selber klar, oder wie auch immer. Aber ich bleibe nicht weiter dran, um das rauszufinden. Ich bin…«
»Ein Hund«, ergänzte sie. »Sie laufen rum, die Nase am Boden, Sie schnüffeln an Büschen und warmen Scheißhaufen rum, bis Sie den Fuchs finden. Dann machen Sie ‘nen Schritt zur Seite und lassen die Jäger schießen.« Sie drückte die Zigarette aus.
Diesen Vergleich hätte ich selbst nicht gewählt, aber er war nicht unbedingt falsch, egal, was ich gerne glauben würde. Jenna setzte sich wieder, sah mich mit ihren dunklen Augen an, und ich wich ihrem Blick nicht aus. In ihren Augen stand die seltsame Mischung aus Angst und trotzigem Mut einer in die Ecke getriebenen Katze; der Blick eines Menschen, der sich nicht sicher ist, ob er der Aufgabe gewachsen ist, der sich zu stellen er beschlossen hat. Es war der Blick einer zerbrechenden Seele, die für einen letzten brauchbaren Atemzug all ihre Kräfte zusammennimmt. So einen Blick habe ich nie in den Augen von Leuten wie Sterling Mulkern, Jim Vurnan oder Brian Paulson gesehen. Nie sah ich ihn im Gesicht des Helden, eines Präsidenten oder eines Industriemagnaten. Aber ich sah ihn in den Augen von fast allen anderen.
»Jenna, sagen Sie mir, was ich Ihrer Meinung nach machen soll.«
»Wer hat Sie beauftragt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Also, es war entweder Senator Mulkern oder Socia, und Socia hätte mich auf der Stelle erschossen, deshalb muß es Senator Mulkern sein.«
Socia? »Hat Socia was mit Roland zu tun?« fragte ich.
Ich hätte sie mit einer Abrißbirne treffen können, sie hätte genausowenig Reaktion gezeigt. Sie schloß kurz die Augen und wiegte sich ein wenig hin und her. »Was wissen Sie über Roland?«
»Ich weiß, daß er schlecht ist.«
»Lassen Sie Roland in Ruhe«, warnte sie. »Verstehen Sie? Lassen Sie ihn in Ruhe.«
»Das sagen mir ständig alle Leute.«
»Dann hören Sie drauf.«
»Wer ist Roland?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Gut. Wer ist Socia?«
Wieder Kopfschütteln.
»Ich kann Ihnen nicht helfen, Jenna, wenn…«
»Brauche keine Hilfe«, unterbrach sie.
»Gut«, antwortete ich. Dann stand ich auf und ging zum Telefon. Ich schloß es wieder an und begann zu wählen.
»Was machen Sie

Weitere Kostenlose Bücher