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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Schluck. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Simone - manchmal verstehe ich sie nicht.«
»Was gibt’s da zu verstehen?« hakte ich nach.
»Den ganzen Haß«, erklärte sie. »Verstehen Sie?«
»Es gibt überall viel Hassenswertes.«
»Ich weiß«, lenkte sie ein. »Glauben Sie mir, ich weiß das. Davon gibt’s scheinbar so viel, daß man sich nur was aussuchen muß. Man verdient es sich, nehme ich an. Simone, na ja, die haßt einfach alles. Und manchmal…«
»Ja?«
»Manchmal, da denke ich, sie haßt nur, weil sie sonst nichts mit sich anfangen kann. Ich meine, ich, ich habe gute Gründe zu hassen, was ich hasse, das können Sie mir glauben. Aber sie, bei ihr bin ich mir nicht so sicher, daß sie es…«
»… sich verdient hat?«
Sie nickte. »Genau.«
Ich dachte darüber nach. Da gab es nicht viel zu streiten. Über die Fähigkeit zu hassen habe ich mehr gelernt als über alles andere, seit ich mit meiner Arbeit begonnen habe.
Sie trank noch einen Schluck Bier. »Ich finde, die Welt zeigt einem genug, worüber man sich ärgern kann, so oder so. Sich ständig angegriffen zu fühlen, bevor man das Schlimmste selbst mitgemacht hat, bevor man mitgekriegt hat, was die Welt einem antun kann, wenn sie es wirklich vorhat,… das finde ich, das kommt mir irgendwie dumm vor.«
»Stimmt«, bestätigte ich und hielt meine Dose hoch. Sie lächelte ein wenig und schaute an ihrer Bierdose vorbei auf meine. Da wurde mir klar, was ein Teil von mir schon gewußt hatte, als ich ihr Foto zum ersten Mal sah: Ich mochte sie.
Kurz darauf trank sie ihr Bier aus und zog eine kleine Fahne hinter sich her, als sie zu Bett ging.
Die Nacht verging nur langsam, ich setzte mich oft um, ging ein bißchen hin und her, sah mein Auto an. Angie war jetzt zu Hause, drehte eine weitere Runde in diesem grotesken Tanz der Schmerzen, den sie Ehe nannte. Ein grobes Wort, die eine oder andere Ohrfeige, ein paar Anschuldigungen, dann wieder ins Bett bis zum nächsten Tag. Liebe. Ich fragte mich erneut, warum sie mit ihm zusammen war, warum sich ein Mensch von ihrer Klasse und Intelligenz auf so ein Stück Scheiße einließ, doch bevor ich völlig in Selbstgerechtigkeit verfiel, legte ich mir die Hand auf den Bauch, auf das Narbenmuster, das mich immer an den Preis der Liebe in ihrer rohesten Form erinnerte.
Vielen Dank, Vater.
Während ich im Dunkeln im stillen Eßzimmer saß, dachte ich auch an meine eigene Ehe zurück, die ungefähr eineinhalb Minuten gedauert hatte. Wenigstens spürten Angie und Phil noch Verantwortung für die Liebe zwischen ihnen beiden, wie verdreht auch immer sie war. Das hatte es bei Renee und mir nie gegeben. Das einzige, was ich in unserer Ehe über Liebe gelernt hatte, war, daß sie zu Ende geht. Und als ich aus Simone Angelines Fenster auf die Straße hinuntersah, kam es mir vor, als sei einer der Gründe für meinen Erfolg, was die Arbeit angeht, daß ich um drei Uhr morgens, wenn der Rest der Welt schläft, immer noch wach bin und meinen Job tue, weil ich sonst nirgendwo hingehen kann.
Ich spielte ein bißchen Solitär und redete meinem Magen ein, er sei nicht hungrig. Ich überlegte, ob ich Simones Kühlschrank überfallen sollte, hatte dann aber Angst, sie könnte womöglich ein paar Fallen eingebaut haben; ich würde nach dem Senf greifen und dabei auf einen Draht treten, der mir einen Pfeil in den Kopf schösse.
Die Dämmerung setzte ein mit einer dünnen Linie blassen Goldes, die den schwarzen Schild der Nacht verdrängte, dann klingelte im Nachbarzimmer ein Wecker, und bald hörte ich die Dusche. Ich streckte mich, bis ich befriedigt das Knacken von Knochen und Muskeln vernahm, dann absolvierte ich mein morgendliches Fitneßprogramm von fünfzig Situps und fünfzig Liegestützen. Als ich fertig war, hatte auch die zweite Runde unter der Dusche ein Ende gefunden, und die beiden Schwestern standen fertig in der Tür.
Simone fragte: »Haben Sie was aus meinem Kühlschrank genommen?«
»Nein«, entgegnete ich, »aber ich glaube, ich habe ihn letzte Nacht mit dem Klo verwechselt. Ich war echt müde. Haben Sie Gemüse im Badezimmer?«
Sie fegte an mir vorbei in die Küche. Jenna sah mich an und schüttelte den Kopf. Sie sagte: »Sie waren bestimmt sehr beliebt in der Schule.«
»Für guten Humor gibt es keine Altersgrenze«, antwortete ich, und sie verdrehte die Augen.
Simone hatte einen Job, und ich hatte die ganze Nacht mit mir gerungen, ob ich sie gehen lassen sollte. Schließlich hatte ich mir gesagt, daß ich bei

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