Streng vertraulich
entfernt, und er hatte Mühe, die Distanz zu überwinden, da von seinem linken Knöchel kaum mehr etwas übrig war.
Ich ging zu ihm hinüber und trat ihm ins Gesicht. Fest. Er stöhnte, ich trat ihn erneut, er wurde ohnmächtig.
Dann lief ich zurück zu Jenna und kniete mich in die Blutlache, die sich um Jennas Körper auf dem Boden ausbreitete. Ich hob sie auf und hielt sie in den Armen. Ihre Brust war nicht mehr da, sie auch nicht. Keine letzten Worte, einfach tot, zerschmettert wie eine Puppe am Rande des Boston Common bei Anbruch eines neuen Tages. Ihre Beine lagen schief, und die neugierigen Aasgeier kamen langsam zurück, um jetzt, da die Schießerei vorbei war, einen Blick zu erhaschen.
Ich legte ihre Beine nebeneinander und verschränkte sie. Dann blickte ich ihr ins Gesicht. Es sagte mir nichts. Je mehr ich sehe, desto weniger weiß ich.
Nun wurde Jenna Angeline von niemandem mehr gebraucht.
11_____
Wie damals der Held war ich auf der Titelseite beider Tageszeitungen abgebildet. Als die Schießerei anfing, befand sich irgendein ungeübter Fotograf in der Menge; zuerst hatte er Schiß und stahl sich davon, dann kam er zurück.
Zu dem Zeitpunkt war ich schon zu Blaumütze zurückgegangen und hatte seine Uzi an der Schlinge hochgehoben. Ich warf sie mir über die Schulter und hockte mit gesenktem Kopf neben ihm, die Magnum in der Hand. In dem Moment knipste mich der Fotograf. Ich bemerkte ihn gar nicht. Eine Aufnahme zeigte mich neben Blaumütze hockend, hinter uns ein Streifen Grün und das State House. Ganz vorne rechts, fast schon unscharf, lag Jennas Leiche. Man konnte sie kaum erkennen.
Die Trib hatte es unten links auf der Titelseite, doch die News pflasterte die ganze erste Seite mit einer hysterischen Schlagzeile in fetten schwarzen Lettern zu: PRIVATDETEKTIV HELD EINER SCHIESSEREI!! Wie man »Held« schreiben konnte, während Jennas Leiche deutlich zu erkennen war, ging mir nicht in den Kopf. Ich schätze, PRIVATDETEKTIV VERLIERER EINER SCHIESSEREI klang einfach nicht so gut.
Dann tauchte die Polizei auf und scheuchte den Fotograf hinter eine hastig errichtete Absperrung. Man nahm mir die Pistole und die Uzi ab und gab mir eine Tasse Kaffee. Dann gingen wir das Ganze durch. Dann noch mal.
Eine Stunde später befand ich mich auf dem Polizeipräsidium in der Berkeley Street, und es wurde beraten, ob ich vorgeladen werden sollte. Während man überlegte, was mit mir zu tun sei, wurden mir meine Rechte auf englisch und spanisch vorgelesen.
Ich habe schon ein paar Bullen kennengelernt, aber von denen schien keiner bei der Vernehmung anwesend zu sein. Die beiden Typen, die auf mich angesetzt worden waren, sahen wie Simon und Garfunkel an einem schlechten Tag aus. Simon hieß Detective Geilston, er war klein und ordentlich gekleidet: bordeauxrote Bundfaltenhose und hellblaues Oxfordhemd, mit beigefarbenen Streifen. Dazu eine bordeauxrote Krawatte mit feinem blauem Karomuster. Bestimmt war er verheiratet, hatte Kinder und verfügte über einen Dispositionskredit. Er war der gute Bulle.
Der schlechte Bulle war Garfunkel, hier im Präsidium nannte man ihn Detective Ferry. Er war groß und schlank und trug einen schäbigen braunen zweiteiligen Anzug, dessen Ärmel und Hosenbeine zu kurz waren. Darunter ein zerknittertes weißes Hemd mit einer dunkelbraunen Strickkrawatte. Ein echter Dressman. Er hatte rötlichblondes Haar, doch zog sich der Ansatz einer Glatze in einem breiten Streifen mitten über seinen Schädel, so daß die wuscheligen Haarreste an den Seiten wie Büschel von Afrolocken abstanden.
Am Schauplatz des Verbrechens waren beide noch ganz nett; sie reichten mir Kaffee und sagten, ich solle mir Zeit lassen, nichts übereilen, mich entspannen. Doch Ferry wurde immer genervter, je öfter ich seine Fragen mit »Weiß ich nicht« beantwortete. Er wurde richtig gemein, als ich mich weigerte, ihm zu sagen, wer mich beauftragt hatte oder was genau ich mit der Verstorbenen zu tun hatte. Da ich noch nicht vorgeladen worden war, hatte ich das Foto zusammengefaltet in den Schaft meines Turnschuhs gesteckt. Ich ahnte, was passieren würde, wenn ich es herausrückte: offizielle Ermittlung, vielleicht ein paar häßliche Einzelheiten über Senator Paulsons Lebensweise, vielleicht auch gar nichts. Jedenfalls keine Festnahmen, keine Gerechtigkeit, keine öffentliche Achtung für eine tote Putzfrau, die doch nur gebraucht werden wollte.
Für einen Privatdetektiv ist es nützlich, nett zu den Cops zu sein.
Weitere Kostenlose Bücher