Streng vertraulich
viel jünger aus als auf dem Bild, das man mir gegeben hatte.
Sie trat an mich heran und sagte: »Was ich hier habe, ist nur ein kleiner Teil.«
Ich begann: »Jenna…«
»Nein, nein«, unterbrach sie mich. »Das ist schon was. Glauben Sie mir. Ich zeig’s Ihnen gleich.« Sie sah das State House hinauf, dann wieder zurück zu mir. »Sie zeigen mir, daß Sie mir helfen wollen, zeigen mir, auf welcher Seite Sie stehen, dann gebe ich Ihnen den Rest. Ich gebe Ihnen…« Die Glut wich aus ihren Augen, sie wurden dunkel; ihre Stimme stockte wie eine ausgeleierte Kupplung. »Ich gebe Ihnen… den Rest«, brachte sie hervor. Ich kannte sie noch keine zwölf Stunden, hatte aber das Gefühl, daß es mit diesem Rest etwas ganz Schlimmes auf sich hatte. Es riß sie innerlich in Stücke.
Dann lächelte sie, ganz weich und zart, ihre Hand berührte mein Gesicht. Sie sagte: »Ich glaube, wir kriegen das hin, Kenzie. Vielleicht erleben wir beide einmal Gerechtigkeit.« Das Wort »Gerechtigkeit« löste sich langsam von ihrer Zunge, als wolle sie es auskosten.
Ich antwortete: »Mal sehen, Jenna.«
Sie griff in die Tasche und reichte mir einen Umschlag. Ich öffnete ihn und zog ein zwanzig mal dreißig Zentimeter großes Schwarzweißfoto heraus. Es war etwas gekörnt, als sei es von einem anderen Filmtyp übertragen worden, aber es war deutlich. Es zeigte zwei Männer, die mit Gläsern in der Hand neben einer billigen Kommode und einem Spiegel standen. Der eine war schwarz, der andere weiß. Den Schwarzen kannte ich nicht. Der Weiße trug Boxershorts und schwarze Socken. Er hatte braune Haare, und von dem Grau, das einige Jahre später die ursprüngliche Haarfarbe wie eine Hülle aus Zinn zum Verschwinden brachte, war noch nichts zu sehen. Er grinste müde, die Aufnahme schien so alt zu sein, daß es sich damals vielleicht noch um den Kongreßabgeordneten Paulson handelte.
»Wer ist der Schwarze?«
Ich sah sie an, und ich merkte, daß sie mich forschend musterte. Die Stunde der Wahrheit sozusagen, die Entscheidung, ob sie mir vertrauen konnte. Ich hatte den Eindruck, als würden wir uns in einem luftleeren Raum befinden - die Menschenmassen hasteten an uns vorbei, waren gar nicht wirklich vorhanden, sondern existierten lediglich auf einer Mattscheibe hinter uns, wie in einem alten Film.
Jenna fragte: »Warum machen Sie das?«
Ich dachte über meine Antwort nach, als rechts neben mir etwas Vertrautes auf der Mattscheibe erschien und dann auf uns zukam. Ich erkannte es verschwommen: eine blaue Baseballmütze mit gelber Bestickung.
»Runter«, rief ich, die Hand auf Jennas Schulter, als Blaumütze sich in Stellung brachte und ein metallisches Rattern die morgendliche Luft durchbrach. Der erste Kugelhagel ging durch Jennas Brust, als sei sie gar nicht vorhanden, ich duckte mich vor den an meinem Kopf vorbeifliegenden Kugeln, versuchte immer noch, sie herunterzuziehen, während ihr Oberkörper in alle Richtungen zuckte. Blaumütze hatte den Finger auf dem Abzug, die Pistole war auf Automatik gestellt, die Metallstiche wurden von Jennas Körper auf den Beton abgelenkt und kamen in einem Bogen zu mir zurück. In der Einkaufspassage entstand ein Menschenauflauf, und als ich die Waffe aus dem Halfter zog, trat mir jemand auf den Knöchel. Jennas Körper fiel auf meinen, Betonsplitter vom Straßenbelag sprangen mir ins Gesicht. Jetzt feuerte er methodischer, versuchte, meinen Körper hinter Jenna zu treffen. Jeden Augenblick würde er wieder auf ihren Körper zielen, und die Kugeln würden einfach hindurchschlagen, als sei sie aus Papier, und würden sich ihren Weg in meinen Körper bahnen.
Durch das Blut in meinen Augen konnte ich erkennen, daß er die Uzi über den Kopf hielt und sie mit weiß flammender Mündung nach unten richtete. Die Kugeln prasselten in Richtung meiner Stirn und verschwanden dann plötzlich in einer weißen Wolke Zementstaub. Das Magazin fiel aus der Waffe auf den Bürgersteig, doch er hatte schon das’ nächste eingeschoben, bevor das alte auf dem Boden auftraf. Er entsicherte den Hebel, und ich streckte mich unter Jennas Körper hervor und schoß.
Die Magnum explodierte mit einem grellen Knall, und er flog seitwärts durch die Luft, als sei er von einem Lkw angefahren worden. Unsanft landete er auf dem Bürgersteig, wobei ihm die Knarre aus der Hand rutschte. Ich schob Jenna zur Seite, wischte mir ihr Blut aus den Augen und sah ihm zu, während er versuchte, zu seiner Uzi zu krabbeln. Sie lag zweieinhalb Meter
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