Streng vertraulich
Watson.«
Sie zündete sich eine Zigarette an, trank einen Schluck Bier und dachte nach. »Dieses Foto ist vielleicht nur die Spitze eines Eisbergs. Vielleicht gibt’s noch mehr davon, und die sind noch viel schlimmer. Irgend jemand, vielleicht Socia oder Roland oder - darf ich das sagen? - jemand aus der Politik ließ Jenna eliminieren, weil er wußte, daß sie alles ausplaudern würde. Meinst du das?«
»Das meine ich.«
»Na ja«, bemerkte sie, »dann sind entweder diese Leute wirklich blöd oder du.«
»Warum?«
»Jenna hat die Bilder in ihrem Schließfach aufbewahrt, stimmt’s?«
Ich nickte.
»Und wenn jemand ermordet wird, geht die Polizei immer gleich vor: Sie holt sich einen Durchsuchungsbefehl und sieht sich jedes faule Ei an, das sie bei dem Opfer findet. Und dazu gehört auf jeden Fall ein Schließfach. Ich nehme an, die haben schon herausbekommen, daß sie als letztes auf der Bank war, bevor sie…«
»… starb«, ergänzte ich.
»Ja. Deshalb sind sie wahrscheinlich gerade dabei, es zu öffnen, während wir hier reden. Und jeder mit einem Funken Verstand hätte das vorhersehen können.«
»Vielleicht glauben sie, daß Jenna alles herausgeholt und mir gegeben hat.«
»Vielleicht«, stimmte sie zu. »Aber dann überlassen wir ganz schön viel dem Zufall. Findest du nicht? Es sei denn, sie sind aus irgendeinem Grund der Meinung, daß sie dort nichts liegenlassen würde.«
»Woher sollten sie das wissen?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Du bist der Ermittler. Ermittle es!«
»Ich versuch’s ja.«
»Noch was«, fügte sie hinzu, stellte das Bier ab und richtete sich auf.
»Sag’s mir bitte.«
»Woher wußten die überhaupt, daß du heute morgen dasein würdest?«
Darüber hatte ich nicht groß nachgedacht. »Blaumütze«, antwortete ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Blaumütze haben wir gestern abgehängt. Ich meine, ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich habe ihn heute morgen nicht auf der Autobahn herumhängen und darauf warten sehen, daß du in einem Auto vorbeifährst, von dem er nicht mal weiß, daß es dir gehört. Und dann hat er dich bis zum Park verfolgt? Nein, das glaube ich nicht.«
»Nur zwei Personen wußten, wo Jenna und ich heute morgen hinwollten.«
»Stimmt genau«, antwortete sie, »eine davon bin ich.«
13_____
Die Augen von Simone Angeline auf der anderen Seite der Sicherheitskette waren rot unterlaufen, Tränen standen ihr in den Augenwinkeln. Ihr Haar war auf einer Seite zusammengebunden, sie sah aus, als habe sie ein paar Jahrzehnte übersprungen und sei plötzlich sechzig geworden, in dem Augenblick, als niemand hinguckte. Als sie uns sah, knirschte sie mit den Zähnen. »Verpißt euch von meiner Tür!«
»Okay«, sagte ich und trat die Tür ein.
Angie folgte mir, und Simone hechtete zum Telefontischchen in der Zimmernische. Sie wollte aber nicht ans Telefon. Sie griff nach der obersten Schublade, doch als sie sie aufzog, faßte ich hinter das Tischchen und kippte es ihr entgegen. Der Inhalt der Schublade, ein kleines, rotes Telefonbuch, ein paar Stifte und eine .22-Übungspistole, fiel ihr zuerst auf den Kopf und dann auf den Boden. Ich stieß die Pistole unter den Bücherschrank, packte Simone vorne am TShirt und zerrte sie zur Couch hinüber.
Angie schloß die Tür hinter sich.
Simone spuckte mir ins Gesicht. »Du hast meine Schwester umgebracht.«
Ich warf sie auf die Couch und wischte mir die Spucke vom Kinn. Ganz langsam sagte ich: »Ich konnte deine Schwester nicht schützen. Das ist ein Unterschied. Abgedrückt hat jemand anderes, und du hast ihm die Knarre in die Hand gedrückt. Stimmt’s?«
Sie bäumte sich auf und schlug nach meinem Gesicht. »Nein! Du hast sie umgebracht.«
Ich drückte sie wieder zurück und kniete mich auf ihre Hände. Dann flüsterte ich ihr ins Ohr: »Die Kugeln haben Jennas Brust durchschlagen, als ob sie gar nicht dagewesen wäre, Simone. Als ob sie überhaupt nicht dagewesen wäre. Ihr strömte das Blut in solchen Massen aus dem Körper, daß nur der kleine Teil, den ich abbekam, schon ausreichte, daß die Bullen dachten, man hätte auf mich geschossen. Sie starb schreiend mitten am Vormittag mit gespreizten Beinen auf dem Bürgersteig, eine Menschenmasse sah ihr dabei zu, und das Schwein, das abdrückte, hat ein ganzes Magazin verballert, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken.«
Jetzt versuchte sie, mir eine Kopfnuß zu verpassen, und rutschte auf der Couch herum; so gut es eben ging angesichts der 90 Kilo, die auf ihr
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