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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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gekleidet, ohne Krawatte.
Als erstes erkannte ich Devin Amronklin. Er stand gut fünfzehn Meter hinter der zweiten Gruppe und sprach mit drei anderen Bullen, wobei ihre Augen ständig zwischen den beiden Gangs und den Polizisten auf der Straße hin- und herflitzten.
Außerdem erblickte ich am Fuße des Sarges einige ältere Frauen, zwei Männer in der Arbeitskleidung des Reinigungspersonals aus dem State House und Simone. Als wir sie bemerkten, starrte sie uns an und hielt dem Blick eine gute Minute lang stand, bevor sie ihn zu den großen Ulmen schweifen ließ, die den Friedhof umgaben. Nichts an ihr deutete darauf hin, daß sie auf dem Rückweg bei mir vorbeikommen und mich zu einer versöhnenden Diskussion über die Rassenproblematik bei einem Tee einladen würde.
Angie nahm meine Hand, und wir gingen zu Devin herüber. Er nickte uns kurz zu, sagte aber nichts.
Der Pfarrer beendete sein Gebet und ließ den Kopf ein letztes Mal sinken. Niemand folgte seinem Beispiel. Es lag etwas Eigenartiges in der Stille, etwas Drückendes und Falsches. Eine dicke graue Taube glitt durch das Schweigen, ihre kleinen Flügel flatterten. Dann durchbrach die frische Morgenluft das mechanische Surren des Sarges, der in das schwarze Rechteck gesenkt wurde.
Die beiden Gruppen bewegten sich wie eine organische Einheit, wie dünne Bäume bei den ersten Sturmböen kamen sie fast unmerklich nach vorne. Devin legte die Hand einen halben Zentimeter von seiner Pistole entfernt auf die Hüfte, die anderen drei Polizisten taten es ihm nach. Die Luft auf dem Friedhof schien sich elektrisch aufzuladen, meine Zähne fühlten sich an, als bisse ich auf Alufolie. Irgendwo in dem dunklen Loch krächzte ein Zahnrad, doch sank der Sarg weiter hinunter. In diesem Augenblick der drückendsten Stille, die ich je empfunden habe, hatte ich das Gefühl, wenn jetzt jemand nieste, würden den Rest des Tages Leichen vom Rasen geschaufelt werden.
Dann machte der Junge im Trenchcoat einen Schritt auf das Grab zu. Socia folgte im Abstand von einer Millisekunde mit zwei Schritten. Der Trenchcoat nahm die Herausforderung an, und gemeinsam erreichten sie den Rand des Grabes, in der gleichen Haltung, den Kopf geradeaus gerichtet.
Devin flüsterte: »Ruhig, Jungs. Bleibt ruhig.«
Der Trenchcoat bückte sich etwas steif und nahm eine weiße Lilie von einem kleinen Häufchen neben seinen Füßen. Socia tat es ihm nach. Sie sahen sich an, als sie die Arme über das Grab streckten. Die weißen Lilien zitterten kein bißchen in ihren Händen. Sie streckten die Arme aus, ohne die Lilie fallen zu lassen. Eine Prüfung, deren Sinn nur sie verstanden.
Ich konnte nicht sehen, wer von beiden zuerst die Hand öffnete, doch plötzlich fielen, ja schwebten die Lilien auf den Sarg nieder.
Beide traten zwei Schritte vom Grab zurück.
Jetzt waren die Gangs dran. Sie imitierten das Ritual, das Socia und der Trenchcoat vollzogen hatten. Als die rangniedrigsten Mitglieder der Gruppen an der Reihe waren, wurden die Lilien aber schon in rekordverdächtigem Tempo hochgehoben und in die Tiefe geworfen, kaum jemand nahm sich noch einen Moment Zeit, um dem anderen in die Augen zu blicken und zu zeigen, wie cool er war. Hinter mir hörte ich, daß die Polizisten wieder atmeten.
Socia war zum Fuß des Grabs gegangen, hatte die Hände gefaltet und ins Leere geblickt. Der Trenchcoat stand, den Regenschirm in der Hand, in der Nähe des Kopfendes und sah Socia an.
Ich fragte Devin: »Können wir jetzt reden?«
Er zuckte mit den Achseln. »Klar.«
Angie wollte wissen: »Was, zum Teufel, ist hier los, Devin?«
Devin lächelte. Sein Gesicht wirkte noch ein bißchen kälter als das schwarze Loch, in das alle ihre Lilien warfen. »Was hier los ist«, antwortete er, »ist der Anfang des größten Blutvergießens, das die Stadt jemals erlebt hat. Dagegen sieht das Feuer in Coconut Grove wie ein Ausflug nach Disneyland aus.«
Ein Eisklumpen so groß wie ein Baseball drückte sich gegen den unteren Teil meiner Wirbelsäule, kalter Schweiß lief mir die Schläfen herunter. Ich drehte mich um, sah über das Grab hinweg und blickte Socia in die Augen. Er war vollkommen ruhig und sah mich an, als wäre ich gar nicht da. Ich bemerkte: »Er wirkt nicht gerade freundlich.«
Devin erklärte: »Du hast den Fuß seines Lieblingskämpfers amputiert. Ich würde sagen, er ist fuchsteufelswild!«
»So wild, daß er mich sogar umbringt?« Obwohl es nicht einfach war, hielt ich dem trüben Blick stand, der mir sagte, daß es

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