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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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wußte. »Wir treffen uns, wo viel los ist, dann kannst du dir einbilden, daß du in Sicherheit bist.«
»Verdammt korrekt von dir.«
»Downtown Crossing«, schlug er vor. »In zwei Stunden. Vor Barnes and Noble. Und du kommst allein, sonst muß ich der Hausnummer einen kleinen Besuch abstatten, von der ich gerade gesprochen habe.«
»Downtown Crossing«, wiederholte ich.
»In zwei Stunden.«
»Damit ich mich sicher fühlen kann.«
Er kicherte abermals. Ich nahm an, es war eine Gewohnheit von ihm. »Yeah«, bestätigte er, »damit du dich sicher fühlen kannst.« Dann legte er auf.
Ich tat dasselbe und blickte Angie an. Das Zimmer war immer noch erfüllt von der Erinnerung an unsere sich berührenden Lippen, an meine Hand in ihrem Haar und an ihre Brüste, die sich gegen meinen Oberkörper preßten.
Sie saß auf ihrem Stuhl und sah aus dem Fenster. Sie drehte sich nicht um. »Ich will nicht sagen, daß es nicht schön war, denn es war schön. Und ich gebe dir auch nicht die Schuld daran, weil ich genausoviel Schuld habe. Aber ich will sagen, daß es nicht noch mal passieren wird.«
Klang so, als ob sie sich kein Hintertürchen offenhalten wollte.

20_____
    Ich nahm die U-Bahn nach Downtown Crossing. Dort angekommen, stieg ich die Treppe hoch, die seit der NixonÄra nicht mehr abgespritzt worden war, und trat auf die Washington Street. Downtown Crossing war früher die Einkaufsmeile, als es noch keine Einkaufszentren und Shopping Center gab, als Läden noch Läden hießen und nicht Boutiquen. Wie der Rest der Stadt war sie in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern neu gestaltet worden, und als ein paar Boutiquen eröffneten, kehrte auch die Kundschaft zurück. Hauptsächlich jüngere Kundschaft, die sich in den Einkaufszentren langweilte oder die zu cool oder zu großstädtisch war, um in den Vororten zu versauern.
    Washington Street ist auf einer Strecke von drei Häuserblocks für den Verkehr gesperrt, da, wo sich die meisten Läden befinden, deshalb wimmelt es auf dem Bürgersteig und auf der Straße nur so von Menschen, die einkaufen, vom Einkaufen zurückkehren oder, wie die meisten, einfach herumhängen. Der Bürgersteig vor Filene’s war zugestellt von Straßenverkäufern mit ihren Wagen, daneben zahllose schwarze und weiße Jugendliche, die sich gegen die Schaufenster lehnten und die erwachsenen Passanten anglotzten; einige Pärchen übten sich in Zungenküssen mit der Verzweiflung von Menschen, die noch nicht das Bett miteinander teilen. Auf der anderen Straßenseite, vor The Corner, einem Mini-Einkaufscenter mit Klamottenläden sowie einem großen Lebensmittelladen, in dem es täglich drei oder vier Schlägereien gibt, stand eine Gruppe schwarzer Jugendlicher um einen Ghettoblaster herum. Aus den wagenreifengroßen Lautsprechern donnerte »Fear of a Black Planet« von Chuck D und Public Enemy, und die Kids hatten sich niedergelassen und beobachteten die Passanten. Ich sah mir die ganzen schwarzen Gesichter in der Menge an und versuchte zu raten, wer davon zu Socias Gang gehörte, aber ich wußte es nicht. Viele der schwarzen Kids gehörten zu den Leuten, die einkaufen gingen oder gerade vom Einkaufen kamen, aber fast genauso viele standen in Gruppen herum, und einige davon hatten den trägen, tödlichen Gesichtsausdruck von Raubtieren. In der Menschenmasse waren auch eine Menge weißer Jugendlicher, die genauso aussahen, aber über die brauchte ich mir im Moment keine Gedanken zu machen. Ich wußte zwar nicht viel über Socia, aber ich bezweifelte, daß ihm als Arbeitgeber an Gleichberechtigung gelegen war.
    Mir war sofort klar, warum Socia diesen Ort gewählt hatte. Hier konnte ein Mensch zehn Minuten lang tot mit dem Gesicht nach unten auf dem Asphalt liegen, bis jemand innehielt und sich fragte, worauf er gerade getreten war. Menschenmassen sind als Treffpunkte kaum sicherer als verlassene Lagerhäuser, und in Lagerhäusern hat man wenigstens noch Platz, sich zu bewegen.
    Ich sah auf die andere Straßenseite hinüber, an The Corner vorbei, meine Blicke flogen über die Köpfe in der Menge wie über ein Notenblatt, bis sie vor Barnes and Noble zur Ruhe kamen. Dort lichtete sich der Menschenandrang ein bißchen, weniger Teenager dort. Eine Buchhandlung war wohl nicht gerade der ideale Ort, um Mädels anzubaggern. Ich war zehn Minuten zu früh, doch nahm ich an, daß Socia und seine Leute schon seit zwanzig Minuten auf mich warteten. Ich konnte ihn nicht sehen, aber das hatte ich auch nicht erwartet.

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