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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Ich vermutete, daß er mir plötzlich eine Knarre zwischen die Schulterblätter drücken würde.
    Sie wurde mir nicht zwischen die Schulterblätter gedrückt, sondern links zwischen Hüfte und Brustkorb. Es war eine dicke .45, die wegen des aufgesetzten häßlichen Schalldämpfers noch größer wirkte. Auch war es nicht Socia, der sie in der Hand hielt. Es war ein Junge, sechzehn oder siebzehn, konnte man aber nicht genau sagen, weil er eine schwarze Lederkappe tief ins Gesicht über eine rote Sonnenbrille gezogen hatte. Er lutschte an einem Lolli, den er von einer Backentasche in die andere schob. Dabei grinste er, als hätte er gerade seine Jungfräulichkeit verloren, und flüsterte: »Ich schätze, du fühlst dich jetzt verdammt bescheuert, was?«
    Ich erwiderte: »Im Vergleich mit wem?«
Angie trat aus der Menschenmenge hervor und hielt Lollipop die Pistole zwischen die Beine. Sie hatte einen beigefarbenen Filzhut auf dem Kopf, ihr langes schwarzes Haar war zu einem Knoten hochgesteckt, der unter dem Hut verschwand. Dazu trug sie eine noch größere Sonnenbrille als Lollipop. Langsam fuhr sie Lollipop mit der Mündung über die Eier und sagte: »Hi.«
Lollipops Grinsen verschwand, statt dessen erschien eins auf meinem Gesicht: »Und, macht’s Spaß?«
Um uns sausten die Menschen weiter herum, achtlos. Urbane Kurzsichtigkeit. Angie fragte: »Was passiert jetzt?«
Socia antwortete: »Kommt drauf an.«
Er stand hinter Angie, und durch die Art, wie sich ihr Körper straffte, wußte ich, daß auch er eine Waffe bei sich trug. Ich bemerkte: »Das wird ja langsam albern.«
Wir vier standen inmitten von Tausenden von Menschen und waren wie Körperzellen durch klobige Metallstücke miteinander verbunden. Jemand stieß mich an der Schulter an, und ich hoffte inständig, daß keiner von uns leicht reizbar war.
Socia beobachtete mich mit einem gutmütigen Ausdruck in seinem verlebten Gesicht. Er erklärte: »Wenn einer anfängt zu schießen, bleibe ich übrig. Wie findet ihr das?«
Er lag fast richtig: Er würde Angie erschießen, Angie würde Lollipop erschießen, und Lollipop würde zweifellos mich erschießen. Aber nur fast.
Ich erwiderte: »Tja, Marion, da wir uns hier schon so drängeln wie Japaner vor einem Fotoapparat, schätze ich, daß eine Leiche mehr oder weniger auch keinen Unterschied macht. Guck mal rüber zu Barnes and Noble!«
Langsam wandte er den Kopf und sah zur anderen Straßenseite hinüber, doch erblickte er nichts, was ihm hätte angst machen können. »Ja, und?«
»Das Dach, Marion. Guck zum Dach hoch!«
Alles, was er sehen konnte, war ein Zielfernrohr und die Mündung von Bubbas Gewehr. Aber was für ein Zielfernrohr! Mit einem so riesigen Ding würde man nur bei einer plötzlichen Sonnenfinsternis danebenschießen. Und selbst dann müßte man noch Pech haben.
Ich sagte: »Wir stecken hier alle zusammen drin, Marion. Wenn ich nicke, bist du dran.«
Socia entgegnete: »Ich nehme deine Freundin hier mit. Glaub mir das.«
Ich zuckte mit den Achseln: »Ist nicht meine Freundin.«
»Als ob dir das egal wäre, Kenzie. Den Scheiß kannst du einem anderen erzählen…«
Ich unterbrach ihn: »Hör zu, Marion, du bist wahrscheinlich nicht daran gewöhnt, aber du befindest dich hier in einer ausweglosen Situation und hast nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.« Ich sah Lollipop an. Seine Augen konnte ich nicht erkennen, aber auf seiner Stirn rannen die Schweißtropfen um die Wette. Nicht so leicht, eine Waffe die ganze Zeit auf jemanden gerichtet zu halten. Ich wandte mich wieder Socia zu. »Der Typ auf dem Dach bildet sich wahrscheinlich bald seine eigene Meinung hierüber. Ich schätze, er kann so schnell abziehen, daß du nicht mehr schießen kannst, zweimal«, ich warf einen Blick auf Lollipop, »und euch beide erledigen. Vielleicht denkt er sich das auch von selbst aus, ohne daß ich ihm zunicke. Ohne daß ich irgendwas mache. Er ist bekannt dafür… daß er seiner Eingebung folgt. Man kann sich nicht richtig auf ihn verlassen. Hörst du zu, Marion?«
Socia war nicht aus der Fassung zu bringen - keine Ahnung, wo Menschen wie er seine Ängste und Gefühle verstecken. Er blickte sich langsam um, sah die Washington Street hoch und runter, aber nicht zum Dach hoch. Er ließ sich Zeit dabei, dann wandte er sich wieder mir zu. »Wer garantiert für mich, wenn ich die Knarre wieder wegstecke?«
»Niemand«, erwiderte ich. »Wenn du eine Garantie willst, mußt du zu Sears gehen. Ich kann dir garantieren, daß

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